„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 23. September 2025

Wie lange noch?

Gerade habe ich eine Sendung des Philosophischen Radios von Jürgen Wiebicke mit Heino Falcke, einem Astrophysiker, der das Photo von einem schwarzen Loch gemacht hat, zur Geschichte unseres Planeten gehört. Darin bekennt Falcke sich dazu, an Gott zu glauben. Das will ich ihm nicht nehmen. Aber gegen Ende der Sendung sagt er noch, alles sei endlich, auch der Mensch. Aber man wisse ja nicht, wann sein Ende eintritt. Vielleicht gibt es ihn ja noch viele „Milliarden“ Jahre.

Kann ich noch seinen Glauben an Gott anerkennen, ohne an seinem Verstand zu zweifeln, so belegt dieses ,Milliarden Jahre‛ leider einen ‒ hoffentlich bloß momentanen ‒ Aussetzer seines Verstandes. Nehmen wir den Menschen, wie er uns im Anthropozän erscheint, so besteht seine hauptsächlichste Eigenschaft darin, Entwicklungsprozesse zu beschleunigen, so sehr, daß sich in den letzten zwanzig, dreißig Jahren das Antlitz des Planeten drastisch verändert hat. Sieht man sich das Entwicklungspotenzial allein der digitalen Technologien an, dann wird dieses Entwicklungstempo derart zunehmen, daß sich Jahrtausende der biologischen und kulturellen Evolution auf wenige Jahre und Monate verkürzen werden.

Sind eine Milliarde Jahre angesichts der bisherigen biologischen Evolution schon eine gewaltige Zahl, so muß diese eigentlich sogar, angesichts der technologischen Rasanz und um die damit zusammenhängenden schon eingetretenen und noch bevorstehenden Veränderungen verhältnismäßig zur biologischen Zeitebene deutlich zu machen, noch um mehrere Zehnerpotenzen erhöht werden. So viel bräuchte wohl die natürliche Evolution, um mit unserer künstlichen mithalten zu können. Die 13,8 Milliarden Jahre seit dem Urknall erscheinen dagegen als ein Klacks.

Aber wir haben natürlich weder die von Falcke anvisierten Milliarden Jahre noch überhaupt alle Zeit der Welt. Ich selbst gebe den Menschen nur noch wenige hundert Jahre. Eigentlich ist das schon zu viel gerechnet. An eine Zukunft jenseits der Erde, im Weltraum, glaube ich nicht. Da glaube ich schon eher an Gott.

Montag, 1. September 2025

Pflicht & Zweifel

Anne Nuhn, Pflicht & Zweifel. Ein Regency-Märchen Roman, Buch 1, 2025
ISBN 978-1-0670534-2-0
https://annenuhn.com/

Hallo Anne,

endlich halte ich den ersten Band von „Pflicht & Zweifel“ in meinen Händen. Ich hatte ihn im Buchhandel bestellen wollen und mußte mich darüber aufklären lassen, daß dieses Buch trotz ISBN-Nummer nicht im Buchhandel erhältlich sei. Man kann es nur über Amazon beziehen, und ich bestelle nichts bei Amazon. Niemals. Meine Schwester half mir aus der Verlegenheit und überließ mir ihr Exemplar.

Endlich konnte ich erfahren, was aus dem Digiskript geworden ist, das Du mir vor sechs Jahren anvertraut hattest. Manches in dem fertigen Exemplar ist anders, als ich es in Erinnerung habe. Ich will es hier aber nicht Zeile für Zeile mit dem Digiskript vergleichen, sondern nur auf das eine und andere hinweisen, das mir besonders ins Auge fällt.

Das Erste, was mir auffällt, ist natürlich der geänderte Titel. Das Digiskript hatte noch den Arbeitstitel „Zorn & Zweifel“. Dieser Arbeitstitel spielt auf die beiden hauptsächlichen inneren Zustände von Carolena Seed/Bloom an, die den ersten Band der Trilogie dominieren. Der endgültige Titel ist weniger persönlich und hebt die moralisch-gesellschaftliche Dimension des Buches hervor. Er ändert nichts an der inneren Zerrissenheit von Carolena, deutet aber den Weg an, der vor ihr liegt und den sie noch zu gehen hat. Das vom Arbeitstitel angedeutete existenzielle Drama verschiebt sich mit „Pflicht & Zweifel“ in Richtung eines Bildungsromans und erinnert so an Jane Austen (1775-1817), von der wir ähnliche Gegenüberstellungen kennen: „Stolz und Vorurteil“ oder „Sinn und Sinnlichkeit“. Nicht umsonst nennst Du Deine Trilogie ein Regency-Märchen.

Dabei ist die Regency-Epoche, 1810 bis 1820, eine Umbruchzeit, in der traditionelle Lebensweisen neuen Technologien weichen mußten, und also keineswegs eine Zeit der Märchen; jedenfalls nicht im Sinne der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen. Deine Trilogie ist eher eine gelungene Mischung aus Märchen, Fantasy und Bildungsroman. Dabei fällt vor allem eins auf: der Pflichtbegriff beschränkt sich eben nicht auf die Gentleman-und-Lady-Etikette der englischen Standesgesellschaft. Du gibst dem Pflichtbegriff zwei verschiedene Inhalte, zwischen denen Carolenas Bildungsweg verläuft, im ständigen Wechsel zwischen dem einen und dem anderen, tastend, irrend, im verzweifelten Versuch, den Klippen und Fallstricken beider Pflichten auszuweichen.

Tatsächlich handelt es sich nicht einfach um zwei Pflichten, sondern um zwei Welten, der Welt der Magie und der Welt der Vernunft. Aber nein! Auch das trifft es nicht ganz. Die Magie ist nicht vernunftlos, und die gesellschaftliche Vernunft ist nicht einfach nur vernünftig; heute nicht und eben auch nicht in der Regency-Epoche. Siehe Austens „Stolz und Vorurteil“.

Auf der Seite der Magie lernt Carolena die Grausamkeit kennen. Diese Magie gibt ihr die Mittel in die Hand, ihre Rache ins Werk zu setzen. Aber auf der Seite der Magie gibt es auch Vernunft. Eine Natur-Vernunft. Eine Vernunft des Geschehenlassens. Eine Vernunft der Akzeptanz. Eine kosmische Vernunft, die einerseits grausam über das persönliche Schicksal von Einzelnen hinweggeht, aber andererseits alles mit allem verbindet: eine große Harmonie. Eine Natur-Vernunft also, deren Magie kein fügsames Werkzeug ist für Carolenas Rache.

Die gesellschaftliche Vernunft steht hingegen für Regeln, für Ordnung, für Macht, für das Eingreifen, Zurichten und Planen. Nichts läßt sie geschehen, ohne es zu bewerten, es entweder einem Nutzen zuzuführen oder es zu vernichten, weil es schädlich ist.

Sowohl in der Natur wie auch in der Gesellschaft sind es Carolenas Mitleid und vor allem ihr Gerechtigkeitsempfinden, die sie dazu verleiten, durch ihr Eingreifen alles nur noch schlimmer zu machen. Das sind die zwei Dimensionen der Pflicht, mit denen sie sich zunächst als Lehrling in der Magie und dann als Debütantin im Dienst einer Lady konfrontiert sieht.

Das ist so etwa der erste Band Deiner Trilogie und natürlich wie alle Zusammenfassungen völlig unzulänglich. Aber dieses Buch ist Dir gelungen. Mal sehen, wie ich jetzt in den Besitz des zweiten Bandes komme. Vielleicht kann mir meine Schwester weiterhelfen.

Noch eins zum Schluß: Was den Zweifel betrifft, so ist es doch ein Magier, nämlich Borke, der der größte Zweifler im ersten Band von „Pflicht & Zweifel“ ist und dem Carolenas Gewißheiten ziemlich auf die Nerven gehen: „Wir können von Glück sagen, dass Sie kein Zepter in der Hand halten!“ (S.134) ‒ Was für eine wunderbare Ironie, wenn man an den Schluß der Trilogie denkt!

Liebe Grüße,
Detlef