„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 8. März 2012

Globalisierung und Elternschaft

Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim, Fernliebe. Lebensformen im globalen Zeitalter, Berlin 2011

In meinem letzten Post zur „Fernliebe“ geht es um die bio-technologischen Auswirkungen der Globalisierung auf das menschliche Selbstverhältnis. B./B.-G. zufolge haben wir es mit einer Verschiebung der „Koordinaten“ zu tun, „in denen sich Sozialisation und Identitätsbildung vollziehen“ (vgl. B./B.-G., S.245), mit einer Überblendung von „Selbst, Grenze, Welt und Liebe“ (vgl. B./B.-G., S.245). Mit anderen Worten: Der Weltbürger, der aus der mit einer Revolutionierung der Bio-Technologien einhergehenden „Kosmopolitisierung“ (B./B.-G., S.104) hervorgeht, ist ein Hybrid.

Es gibt zwei Ebenen, auf denen sich die bio-technologische Verwandlung des menschlichen Körpers in eine globalisierte „Körperlandschaft“ vollzieht. Da gibt es zum einen die Ebene der Transplantation von Organen: „In den Körperlandschaften der Individuen verschmelzen Kontinente, ‚Rassen‘, Klassen, Nationen und Religionen. Muslimische Nieren reinigen christliches Blut. Weiße Rassisten atmen mit der Hilfe schwarzer Lungen. Der blonde Manager blickt mit dem Auge eines afrikanischen Straßenkindes auf die Welt. Ein katholischer Bischof überlebt dank der Leber, die aus einer Prostituierten in einer brasilianischen Favela geschnitten wurde.“ (B./B.-G., S.96f.).

Und es gibt die Ebene der Fortpflanzungsmedizin: „Mit Hilfe der neuen Optionen, die die Fortpflanzungsmedizin bereitstellt, können Geburt und Elternschaft entkoppelt und rechtliche Gegensätze zwischen Ländern nutzend – ‚ausgelagert‘ werden wie Arbeitsplätze. Die medizintechnologisch eröffneten Handlungsspielräume ermöglichen es, Zeugung, Schwangerschaft und Elternschaft voneinander zu trennen und separat – über nationale Grenzen hinweg – zu organisieren. Was früher schlicht Mutterschaft hieß, wird nun zerlegt in ‚Eispenderin‘, ‚Leihmutter‘, ‚soziale Mutter‘.“ (B./B.-G., S.21)

Ich möchte mich in diesem Post vor allem mit dieser zweiten Ebene beschäftigen, weil es hier anders als bei Organtransplantationen nicht um das individuelle Überleben schwer kranker Menschen geht, also um deren Gegenwart, sondern um den Umgang des Menschen mit seiner Zukunft. Denn mit der Elternschaft geht es um unser Verhältnis zur „kommende(n) Generation“ (B./B.-G., S.75) und damit um unsere Zukunft. Bedeuten die neuen Fortpflanzungstechnologien also, wie B./B.-G. fragen, eine „neue Offenheit“, wenn wir „nun immer mehr gestalten, auswählen, entscheiden (können), welche Anlagen wir für uns selbst und unsere Nachkommen wollen“? (Vgl. B./B.-G., S.200)

Oder tritt nicht vielmehr an die Stelle der traditionellen Vorsorge der Eltern für das spätere Leben ihrer Kinder nach ihrem Tod ein elterlicher Egoismus, der die Kinder an die Gegenwart der Bedürfnisse ihrer Eltern bindet, wie B./B.-G. an anderer Stelle dagegenhalten: „Immer wieder Anklagen, mit emotionaler Wucht vorgetragen, gegen die sozialen Eltern: Ihr seid nur eurem egoistischen Kinderwunsch gefolgt, ohne Rücksicht auf unsere Interessen.“ (B./B.-G., S.219)

Geht es hier also wirklich um die Zukunft der Kinder, wenn Eltern, die ihren Kinderwunsch auf die herkömmliche Weise nicht umsetzen können, die neuen biotechnologischen Möglichkeiten in einer globalisierten Welt nutzen und in Drittländer reisen, um dort Zeugung, Empfängnis und Schwangerschaft im Rahmen einer geeigneten medizinischen und menschlichen Infrastruktur arbeitsteilig zu erzwingen?


Ich möchte hier versuchen, die hybride Körperlichkeit der daraus hervorgehenden Weltbürger anhand der Graphik, die ich schon einige Male vorgestellt habe, darzustellen. (Vgl. meine Posts vom 01.06.2011 und vom 30.01.2012) Auf der körperlichen Ebene des Körperleibs haben wir es mit drei verschiedenen Elternteilen zu tun: der Eimutter, der Leihmutter und dem Samenspender. (Vgl. B./B.-G., S.21, 195-222) Auf der sozialen Ebene des Körperleibs haben wir es mit der sozialen Mutter und dem sozialen Vater zu tun, die, sofern sie denn lange genug zusammenbleiben, die endgültigen Eltern des aus den verschiedenen Phasen der Embryogenese hervorgehenden Kindes sein werden. Ansonsten kommen bei späterer Scheidung bzw. Trennung der ‚Eltern‘ noch verschiedene Nachfolgeeltern hinzu.

Da, wo also ursprünglich die Basis der Pyramide, die die dreifach gegliederte Einheit der individuellen Person darstellen soll, auf der biologischen Kontinuität der Evolution nahtlos aufruhte, wo also das geborene Kind aus der natürlichen Vereinbarkeit von Biologie, Kultur und Psychologie hervorgegangen war, tut sich nun ein neuer Bruch auf, der dem Bruch zwischen Körper und Leib gleicht. In diesen Bruch schiebt sich die Medizintechnik und trennt die künftigen Weltbürger von ihren natürlichen Grundlagen. – So jedenfalls sehen es B./B.-G. und z.B. auch Habermas (vgl. ders., Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt a.M. 2001). B./B.-G. sprechen angesichts dieser Weltbürger von einer „Frankenstein-Realgroteske“ (vgl. B./B.-G., S.221), und sie fragen, mit welchen Geschichten die Kinder die „Leerstellen ihrer Herkunft“ füllen sollen (vgl. B./B.-G., S.216): „Welche Geschichte kann man mit einer spanischen Eizelle verbinden?“ (B./B.-G., S.221)

Auch Habermas vertieft sich empathisch in den künftigen Bewußtseinszustand dieser Weltbürger, die ihren medizinischen und elterlichen Designern gegenüber nicht mehr so frei sein können, wie sie es gegenüber dem Naturschicksal wären. Weil die künftigen Weltbürger die Entscheidungen, die die Eltern für sie getroffen haben, nicht mehr rückgängig machen können, bleiben sie immer das willenlose Objekt dieser Entscheidungen und können nicht mehr über sie hinauswachsen zu einer freien, autonomen Persönlichkeit.

Aber unfrei sind wir auch gegenüber dem Naturschicksal unserer Zeugung und Empfängnis. Ob wir den Körper, den wir haben, nun dem biologischen Zufall oder der elterlichen Willkür verdanken, macht keinen Unterschied, weil wir auf jeden Fall ein Verhältnis zu diesem Körper finden müssen. Nichts anderes bedeutet ‚Körper-Leib‘. Es gibt eine schöne Szene im vierten „Alien“ (die „Wiedergeburt“): Eine Androidin, also ein künstlicher Mensch, empfindet ihre eigene Existenz als eine Scheußlichkeit und wird zur Bio-Terroristin. Sie kämpft insbesondere gegen eine Firma, die Hybride aus Aliens und Menschen herstellt. In einem Gespräch mit Ripley, die ein solcher Hybrid ist, fragt die Androidin sie, wie sie es nur aushalten kann, nur ein künstliches Wesen und kein richtiger Mensch zu sein. Wenn ich mich recht erinnere, antwortet Ripley: „Ich bin da, und jetzt muß ich sehen, daß ich das Beste daraus mache!“ – Eine bessere Antwort hätte keiner, der den Anspruch erhebt, im vollen Sinne Mensch zu sein, geben können.

Daß sich also ein Bruch zwischen der biologischen Evolution und unserer Embryogenese auftut, fügt dem Bruch, der sich zwischen Körper und Leib öffnet, nichts hinzu. Der Mensch war vorher schon exzentrisch positioniert und ist es jetzt immer noch. Und es sind die obersten Stufen der Pyramide, Haltung und Bewußtsein, die bestimmen, welche Geschichte er sich erzählt und in welche Geschichte er seinen Leib einbindet. Er muß sehen, wie er das Beste daraus macht, dazusein. Er wächst über die Entscheidungen seiner Eltern hinaus, indem er seine Zukunft selbst bestimmt.
PS (09.03.2012): Nachdem ich mir die im Post angesprochene Szene von Alien nochmal angesehen habe, muß ich gestehen, daß mir mein kommunikatives Gedächtnis eine etwas andere Version der Geschichte erzählt hat. Ripley antwortet auf die Frage der Androidin, wie sie es aushält, kein richtiger Mensch zu sein: „Ich hab’s mir nicht ausgesucht!“ – Aber letztlich läuft diese Antwort auf dasselbe hinaus: „Mach das Beste daraus!“
Nicht schlecht ist übrigens auch die Szene, in der Ripley entdeckt, daß die Androidin kein Mensch ist. Ripley meint dazu nur: „Ich hätte es mir denken können: kein Mensch ist so menschlich wie Du!“ – Science Fiction ist echt besser, als die meisten moralphilosophischen Essays ...
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