„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 10. Februar 2012

Transparenz versus Wahrnehmung?

Thomas Metzinger, Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität: Eine Kurzdarstellung in sechs Schritten (http://www.ifzn.uni-mainz.de/Metzinger.pdf)

1. Der Mensch als informationsverarbeitendes System
2. Transparenz und Wahrnehmungsglaube
3. Was heißt ‚interne Quellen‛?
4. Differenz von Vollzug und Reflexion (Naivität und Kritik)
5. Selbstbewußtsein als „Interface“
6. Narrativität und Rekursivität

Das phänomenale Selbstmodell wird von Metzinger als geschlossenes System beschrieben: „Das Selbstmodell ist die einzige repräsentationale Struktur, die im Gehirn durch eine kontinuierliche Quelle intern generierten Inputs verankert ist.“ (S.19) – Das erinnert an das neurophysiologische Konzept vom Gehirn als einem autopoietischen System, das alle seine Impulse intern erzeugt. Die peripher erzeugten, über spezifische Sinnesorgane weitergeleiteten Signale entsprechen aufgrund ihrer binären Struktur unterschiedslos den internen zentralen Impulsen, so daß ihr spezifischer Gehalt erst vom Gehirn selbst erzeugt werden muß. Es macht also keinen Unterschied, woher die Impulse kommen. Im Vergleich zu den zentralnervösen Strukturen und Prozessen ist ihre Herkunft bedeutungslos und „abstrakt“ (vgl.S.23).

Dennoch spricht Metzinger von vier verschiedenen internen Quellen von Impulsen: vom Gleichgewichtssinn, vom Hintergrundgefühl, von den Bauchgefühlen und von der „homöostatischen Selbstregulation des ‚internen Milieus‛“. (Vgl.S.19f.) Plessner spricht hier von den Zustandssinnen, die er von den Gegenstandssinnen unterscheidet. (Vgl. meine beiden Posts vom 30.01.2012) Diese internen Quellen sollte man nicht mit den gehirnintern erzeugten Impulsen gleichsetzen, auch wenn Metzinger die homöostatische Selbstregulation im Hirnstamm lokalisiert. Denn welche Aufgabe haben diese internen Quellen?

Nach Damasio bilden sie die Bühne für Ereignisse, denen das Gehirn als „Auditorium“ aufmerksam folgt. (Vgl. meinen Post vom 05.05.2010) Das „Fleisch“, wie Damasio es nennt, bildet nicht nur irgendeine bedeutungslose Nährlösung, sondern ist in gewisser Weise der Sinn des Gehirns, ohne den seine ‚Aktivitäten‛ orientierungslos wären. Diesen Zusammenhang bezeichnet Plessner als Körperleib, d.h. als gleichzeitiges Ineinander und Gegenüber von Körper und Leib, in dem die exzentrische Positionalität des Menschen anatomisch verwurzelt ist. Auch Metzinger bringt diesen Sachverhalt andeutungsweise zum Ausdruck: „Die konstante Aktivität derjenigen Regionen des Körperselbstes, die unabhängig von externem Input sind, wird – das ist meine These – zum funktionalen Mittelpunkt des phänomenalen Darstellungsraums.“ (S.20) – Dieses innere Körperselbst ähnelt dem ‚Leib‘ bei Plessner, der der bewußten Kontrolle durch das Gehirn unterliegt, im Unterschied zum Gehirn im ‚Körper‘, das den physiologischen Prozessen des Gesamtorganismus unterworfen ist. Indem Metzinger aber interne und externe Inputs entkoppelt und den phänomenalen Darstellungsraum als einen rein intern erzeugten Funktionszusammenhang beschreibt, geht hier die Doppelaspektivität von Innen und Außen verloren, für die der Körperleib das Modell bildet.

Auch die Innen/Außen-Differenz des Körperleibs wird von Metzinger also nicht auf die Anatomie zurückgeführt – anders als bei Damasio, der zwischen Fleisch und Gehirn unterscheidet –, sondern als ein internes Produkt des informationsverarbeitenden Systems dargestellt: „Eine genuine Innenperspektive entsteht genau dann, wenn das System sich für sich selbst noch einmal als mit der Welt interagierend darstellt, diese Darstellung aber wieder nicht als Darstellung erkennt. Es besitzt dann ein bewusstes Modell der Intentionalitätsrelation. Sein Bewusstseinsraum ist ein perspektivischer Raum und seine Erlebnisse sind jetzt subjektive Erlebnisse.“ (S.25) – Die „Intentionalitätsrelation“ zwischen Subjekt und Objekt ist frei von jedem Bezug auf den vom Körperleib grundgelegten, von Sinnesorganen kinetisch und ästhetisch qualifizierten Gegenstand.

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