Georg Simmel, Philosophie des Geldes (2009/1900)
Kurt Röttigers, Tausch, in: HWdPh, Bd.10
Als ich letztens einige Stichwörter im Historischen Wörterbuch der Philosophie nachschlug, stieß ich unter dem Artikel zum „Tausch“ auf eine Textstelle, die mich irritierte und mich veranlaßte, mir Georg Simmels (1858-1918) Buch zur „Philosophie des Geldes“ (1900) in einer 2009 erschienenen Ausgabe zu kaufen. Ich zog diese Hardcoverausgabe der Softcoverversion der wissenschaftlich-kritischen Edition vor, weil sie beim von meinen Unterstreichungen und Randbemerkungen begleiteten Lesen leichter zu handhaben ist.
Ich habe jetzt die ersten 150 Seiten von insgesamt 832 Seiten gelesen, und das Ende des ersten Kapitels bietet mir die Gelegenheit, eine Zäsur zu setzen und, bevor ich die Lektüre fortsetze, einige grundlegende Einsichten festzuhalten. Die Textstelle in dem Wörterbuchartikel, die mich irritierte, besteht aus Zitaten von Simmel. Diese Zitate legen nahe, daß meine Formel zur freien und gleichen Wechselbeziehung zwischen zwei Menschen, Ich = Du, kompatibel ist mit dem Warentausch. Wenn nämlich jede von Zweien der anderen das gibt, was jene entbehren kann und diese braucht, bedeutet das Simmel zufolge, „daß jeder dem anderen mehr gibt als er selbst besessen hat“. (Vgl. K. Röttigers, in: HWdPh, Bd.10, Sp.922f.; vgl. auch Simmel 2009, S.64)
Weiter heißt es im Wörterbuch: „Simmel zieht daraus den verallgemeinernden Schluß, ,daß die Mehrzahl der Beziehungen untereinander als ein T. (Tausch ‒ DZ) gelten kann; er ist zugleich die reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrerseits das menschliche Leben ausmacht.‛ () Er konkretisiert das folgendermaßen: ,Jede Wechselwirkung ... ist als ein T. zu betrachten: jede Unterhaltung, jede Liebe ... jedes Spiel, jedes sich Anblicken‛ ().“ (Vgl. HWdPh, Sp.923; vgl. Simmel 2009, S.63)
Wenn das so ist, dann gibt es zwischen dem Warentausch, dem Geld und der Liebe keinen Unterschied.
Wenn ich meine Vorstellung von einer freien und gleichen Wechselbeziehung zwischen zwei Menschen aufrechterhalten will, darf sie aber keineswegs unter einen Begriff von Wechselwirkung fallen, im Sinne einer reinsten und gesteigertsten Wechselwirkung, der beinhaltet, daß alles seinen ,Preis‛ hat. Das aber heißt wiederum, daß der Begriff der Wechselwirkung eben nicht mit dem der Wechselbeziehung bedeutungsgleich sein kann. Ich halte deshalb dagegen, daß ,Wirkungen‛, also auch Wechselwirkungen, immer Ursachen haben, wobei wir es bei Wechselwirkungen eben mit wechselseitigen Verursachungen zu tun haben. Eine solche wechselseitige Verursachung läßt sich natürlich anders als in einem linearen Kausalverlauf nicht auf eine einzelne Ursache zurückverfolgen. Demnach haben wir es also bei der Wechselwirkung mit einer nicht-linearen Kausalität zu tun, wie sie zwischen den Teilen eines Ganzen stattfindet. In diesem Sinne argumentiert übrigens, wie wir noch sehen werden, auch Simmel.
Aber wir haben es dennoch auch bei dem Begriff der Wechselwirkung mit einem Kausalverhältnis zu tun, das auf die freie und gleiche Wechselbeziehung zwischen zwei Menschen, wie sie von Simmel mit einem Begriff wie „Liebe“ (siehe Zitat) angesprochen wird, nicht angewandt werden kann. Zwei Menschen sind füreinander ‚Du‛, ohne daß diese Wechselseitigkeit auf Kausalität, und sei sie auch eine nicht-lineare, zurückgeführt werden könnte. Das heißt nicht, daß es im Ich = Du keine Wechselwirkung gibt, sondern nur, daß die freie und gleiche Wechselbeziehung nicht durch Wechselwirkung konstituiert wird. Da aber die Differenz zwischen zwei Menschen in der Wechselbeziehung nicht aufgehoben wird, gibt es selbstverständlich auch eine Wechselwirkung zwischen ihnen.
Dieses Verhältnis zwischen Wechselbeziehung und Wechselwirkung wird noch einmal verkompliziert durch das der Ökonomie zuzuordnende Tauschverhältnis. Im Grunde bildet der Tausch ein referentielles Dreieck, in dem die Referenz der beteiligten Akteure nicht aus einem, sondern aus zwei Tauschobjekten besteht, die in einer je individuellen Beziehung zu dem einen und dem anderen der beiden Tauschpartner stehen, während zugleich die beiden Tauschpartner zueinander in einer Beziehung stehen, die durch das Interesse des einen an dem Gegenstand im Besitz des anderen, und umgekehrt, bestimmt ist.
Auch innerhalb einer freien und gleichen Wechselbeziehung hat die Referenz, die hier in der gemeinsamen Aufmerksamkeit auf bloß einen Gegenstand besteht, einen je individuellen Bezug zu jedem der beiden Partner, aber was diese miteinander ,tauschen‛, ist nicht das Objekt selbst ‒ es sei denn als Geschenk ‒, sondern ihre Perspektiven auf dieses Objekt. In einer freien und gleichen Wechselbeziehung bildet die Referenz eine Option, die die Wechselbeziehung zwischen zwei Menschen veranlassen und darüberhinaus eine vorhandene Zweierbeziehung, Freundschaft, Liebe, Interessengemeinschaft etc., stärken kann.
Wenn es aber nicht darum geht, einander zu diesem Dritten in eine gemeinsame Beziehung des wechselseitigen Gebens und Nehmens zu setzen, sondern zweierlei Drittes (Tauschobjekte) mit Hilfe einer Bestimmung des Werts eines jeden Objekts im Verhältnis zum anderen zu tauschen, verwandelt sich die freie und gleiche Wechselbeziehung in eine Konkurrenzbeziehung des Gebens, um zu nehmen. Die erste Beziehungsform möchte ich als Gabe bezeichnen, die zweite als Tausch. Der Tausch bildet dann eine Wechselwirkung in Form der ökonomischen Praxis.
Letztlich wirft Simmel zwei grundverschiedene Beziehungsebenen in einen Topf: die des Menschen zu Gegenständen der nicht-menschlichen Welt, zu denen auch noch Artefakte wie die Waren zu zählen wären, und die des Menschen zu seinem Mitmenschen. Bei der Gabe und beim Tausch haben wir es also mit Objekten zu tun, die zueinander kategorial verschieden sind. (Vgl. Simmel 2009, S.93)
Wenn ich hier von der ,Gabe‛ spreche, um eine Differenz zum Tausch aufzumachen, halte ich mich an eine bestimmte Bedeutung, ohne mich weiter um die verschiedenen, zum Teil widersprüchlichen Bedeutungen zu kümmern, die dieses Wort in der Ethnologie und Anthropologie außerdem noch hat. Ich halte den Gabentausch nicht für eine Frühform des Warentausches und werde deshalb auch gar nicht erst von einem Gaben-,Tausch‛ sprechen. Was zwei Menschen in einer freien und gleichen Wechselbeziehung einander ,geben‛, ist eine ,Gabe‛. Damit ist alles gesagt.
Auch Simmel hat eine Vorstellung von dieser Differenz zwischen Gabe und Tausch, wie sich in folgender Textstelle zeigt: „Wo wir Liebe um Liebe tauschen, wüßten wir mit der darin offenbarten inneren Energie sonst nichts anzufangen; indem wir sie hingeben, opfern wir ‒ von äußeren Betätigungsfolgen abgesehen ‒ keinerlei Nutzen auf; wenn wir in der Wechselrede geistige Inhalte mitteilen, so nehmen diese darum nicht ab; wenn wir unserer Umgebung das Bild unserer Persönlichkeit darbieten, indem wir das der anderen in uns aufnehmen, so vermindert dieser Austausch unseren Besitz in keiner Weise.“ (Simmel 2009, S.64)
Simmel beschreibt hier völlig korrekt den Unterschied zwischen einem Tausch, der unter dem Druck wirtschaftlicher Konkurrenz, von Gewinn und Verlust, geschieht, und der Kommunikation zwischen zwei Menschen, bleibt aber dabei, beides als Wechselwirkung zu bezeichnen, und spricht sogar weiterhin unterschiedslos vom Tausch. Hier fehlt es ihm an Arbeit am Begriff.
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