(Versprachlichung des Sakralen. Anstelle eines Vorworts (S.7-18); 
I: Die Lebenswelt als Raum der Gründe: 1. Von den Weltbildern zur 
Lebenswelt (S.19-53), 2. Die Lebenswelt als Raum symbolisch verkörperter
 Gründe, (S.54-76) 3. Eine Hypothese zum gattungsgeschichtlichen Sinn 
des Ritus (S.77-95); II: Nachmetaphysisches Denken (S.96-237); III: 
Politik und Religion (S.238-327))
1. Nachtrag zur Interdisziplinarität
2. Zum ontologischen Primat der Lebenswelt
3. Gesten und Körperbewegungen
4. Mentalismus und Rekursivität
5. Und trotzdem: Bewußtsein!
6. „Kognitive Schübe“ in der Evolutionsgeschichte des Menschen
7. Pragmatischer Konstruktivismus
8. Wahrnehmungsglaube und Lebensweltglaube
9. Grammatik und Narrativität
Im
 gestrigen Post hatte ich schon angemerkt, daß Habermas den Körper im 
Vergleich zu seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ (3/1985), wo 
er ihn nur in Form „unselbständiger Handlungen“ zur Kenntnis nimmt (vgl.
 Habermas 3/1985, Bd.1, S.145), als „organischen Leib“ (Habermas 2012, 
S.25) bzw. als „organische Lebensvollzüge“ (Habermas 2012, S.20) 
aufwertet, weil er ihn am „ontologischen Primat“ (ebenda) der Lebenswelt
 teilhaben läßt. Tatsächlich aber ändert sich an Habermasens Bewertung 
der Körperfunktionen nichts.
Dort, wo der Körper eine 
Ausdrucksfunktion hat, spricht Habermas in einer paradoxen Formulierung 
von „nichtintentionalen Ausdrucksbewegungen“. (Vgl. Habermas 2012, S.63)
 Wie können Ausdrucksbewegungen nichtintentional sein? Nur aufgrund einer künstlichen Trennung zwischen Körperbewegungen und Gesten!
Habermas
 läßt bei den Gesten nur die äußere Wahrnehmung dieser Gesten zu, eben 
als Körperbewegungen, die einen quasi-mechanischen Effekt auf unser 
Bewußtsein haben: „Das materielle Element, der Laut oder die 
Körperbewegung, löst wie ein Katalysator die Verschränkung der 
sozialkognitiven mit der im engeren Sinne kognitiven Leistung aus: Die 
Geste ist das öffentliche Element, in dessen Wahrnehmung sich die 
Intentionen der Beteiligten treffen. Angeregt durch die übereinstimmende
 Wahrnehmung dieses Katalysators, werden die jeweiligen Einstellungen 
der Beteiligten auf etwas in der Welt über die gegenseitige 
Perspektivenübernahme so vergemeinschaftet, dass shared intentions, also geteilte Wahrnehmungen und Absichten entstehen können.“ (Habermas 2012, S.60f.)
Habermas
 vermeidet geradezu peinlich, die Körperlichkeit der Gesten zu 
thematisieren. Gesten erfüllen ihren Zweck nur als „öffentliches 
Element“, das wir von außen wahrnehmen, ohne innere Beteiligung und ohne
 Anteil des Körpers. Dessen ‚Beteiligung‘ wird auf eine 
Katalysatorenfunktion eingeschränkt, d.h. er bleibt an der von ihm 
ausgelösten kommunikativen Verständigung völlig unbeteiligt. Genau das 
macht ja den Charakter eines Katalysators aus, daß er Prozesse in Gang 
setzt, ohne sich selbst zu verändern.
Nachdem Habermas 
also die Körperbewegungen nur im ‚öffentlichen‘ Raum ‚reziproker‘ 
Wahrnehmungsperspektiven thematisiert und zugleich rekursive 
Bewußtseinsleistungen als unnötig „anspruchsvolle Reflexionstufe(n)“ 
abwertet (vgl. Habermas 2012, S.65), wundert er sich schließlich, wie 
Tomasello den „mentalen Fähigkeiten in der Ordnung der Erklärung Vorrang
 vor der Kommunikation“ geben kann, wenn sich doch „die Verschränkung 
von interpersonaler Beziehung und Intentionalität (im Sinne der 
objektivierenden Einstellung zur Welt) nicht ohne das Dazwischentreten 
einer Geste erklären lässt“. (Vgl. Habermas 2012, Anm.Nr.10)
Er
 selbst hat die naheliegendste Erklärung durch die Verbindung rekursiver
 Annahmen mit den von innen empfundenen Körperwahrnehmungen (Körperleib)
 von vornherein ausgeschlossen! Nichts ist natürlicher, als die eigenen 
Körperbewegungen von innen heraus zu erleben; sind wir doch über die 
Körperhaltung in unserem Leib anwesend, und keine Körperbewegung 
ist uns äußerlich. Von hierher die Körperbewegungen anderer wie mich 
empathisch mitzuempfinden und rekursiv auf eine komplexe Verschränkung 
wechselseitigen Wissens über unsere inneren Zustände zu schließen, 
bildet keineswegs eine anspruchvolle Reflexionsstufe.
Viel
 anspruchvoller ist hingegen Habermasens Alternative, die darin besteht,
 den Gesten über ihre Konventionalisierung einen „selbständigen“, d.h. 
von Körperbewegungen unabhängigen „Status“ „als Bedeutungsträger oder 
Speicher intersubjektiven Wissens“ zuzusprechen. Als gäbe es einen 
‚eigenständigen‘, von individuellen Körpern unabhängigen, 
gesellschaftlichen Bedeutungsraum, der keiner eigenen materiellen Basis 
bedarf, eben einen luftleeren, körperlosen Raum. Jetzt müssen Gesten 
tatsächlich „zwischen“ zwei Bewußtseine „treten“, damit diese 
miteinander interagieren können, denn über ihre Körper haben sie keinen 
Kontakt. Ihr Bewußtsein bildet zwei voneinander getrennte Inseln, von 
denen aus sie sich gegenseitig aus der Ferne beobachten und einander – 
mittels Gesten – zuwinken, wobei sie auf ihrer jeweiligen Insel mühsam 
die Signale des fernen Anderen zu dechiffrieren versuchen.
Habermas
 schreibt einen wundervollen Satz: „Das Bewusstsein verschränkt sich von
 Haus aus mit Selbstbewusstsein.“ (Habermas 2012, S.36) – Ohne es zu 
wissen, entspricht seine Formulierung exakt dem Plessnerschen 
Körperleib, dem ‚Haus‘, von dem aus und in dem sich Bewußtsein mit 
Selbstbewußtsein verschränkt.
Und Habermas schreibt 
einen äußerst häßlichen Satz: „Die erste Geste, die für Ego und Alter 
eine identische Bedeutung stiftet, befreit das subjektive Bewusstsein 
aus seinem egozentrischen Gehäuse.“ (Habermas 2012, S.68) – Hier besteht
 das ‚Gehäuse‘, der ‚Kerker‘ im Körper, ohne Leibaspekt, und von ihm 
wird die Geste abgespalten, als vollziehe sie sich irgendwo anders, nur 
eben nicht am Körper selbst.
Denn die materielle Basis 
für die Inter-Subjektivität ist nicht erst der öffentliche, 
konventionalisierte Raum, in dem sich die ‚Geister‘ frei schwebend 
begegnen. Die materielle Basis für die Inter-Subjektivität ist der 
Körperleib selbst. (Vgl. meinen Post vom 17.07.2012)
 Sie besteht in der von Plessner beschriebenen Gegenüberstellung von 
Körper und Gehirn und in der Perspektivenvielfalt unserer Sinnesorgane. 
Wir sehen uns und unsere Gesten gleichzeitig von innen und von außen, 
und wir empfinden die Körperhaltungen der anderen wie uns in unserem 
Körperleib nach. Deshalb ist Habermasens Satz vom Bewußtsein, das sich 
von Haus aus mit Selbstbewußtsein verschränkt, so richtig. Und deshalb 
ist das Wort vom „egozentrischen Gehäuse“ so falsch.
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