Der Wille zur Wahrheit (1976/83; SuW 1)
Der Gebrauch der Lüste (1984/86; SuW 2)
Die Sorge um sich (1984/86; SuW 3)
Die Geständnisse des Fleisches (2018/19; SuW 4)
Der Gebrauch der Lüste (1984/86; SuW 2)
Die Sorge um sich (1984/86; SuW 3)
Die Geständnisse des Fleisches (2018/19; SuW 4)
4. Kaiserzeit
‒ Diätetik
‒ Ehe und Zweiheit
‒ Mißbrauch der Zweiheit
‒ Ehe und Zweiheit
‒ Mißbrauch der Zweiheit
Wie schon im letzten Blogpost erwähnt, hat die Knabenliebe in der Kaiserzeit nicht mehr die Relevanz, die sie in der griechischen Antike gehabt hatte. An ihre Stelle tritt die Ehe, die jetzt zum zentralen Thema einer erotischen Diätetik wird. Dabei überraschten mich Foucaults Darstellungen zu Musonius Rufus (30-101/102), einem römischen Stoiker, und seine Kommentare zu einem Buch von Plutarch (45-125), einem griechischen Moralisten und Schriftsteller. Das Buch, um das es geht, ist „Amatorius“. Wann genau es erschienen ist, konnte ich nicht ermitteln; wahrscheinlich um 120 nach Beginn unserer Zeitrechnung.
Bevor ich hier, wenn auch nur kurz, auf Foucaults Kommentare eingehe, möchte ich nochmal daran erinnern, mit was für einer Gesellschaftsform wir es sowohl in der griechischen Antike wie auch in der Kaiserzeit zu tun haben. Wir haben es selbstverständlich mit einer patriarchal verfaßten Gesellschaft zu tun, und Foucault weist ausdrücklich auf die Dominanz einer auf eine kleine Gruppe von wohlhabenden Grundbesitzern beschränkten „Männermoral“ hin. (Vgl. SuW 2, S.63, 88ff., 110) Auch im dritten Band, in dem die Kaiserzeit im Zentrum steht, hebt Foucault den drastischen Phallogozentrismus dieser Männermoral hervor. Am Ende der hier zitierten Textstelle befindet sich ein Zitat im Zitat von Artemidor, einem griechischen Traumdeuter aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts:
„Das männliche Organ ‒ jenes, das man ,anankaîon nennt (das ‚notwendige‛ Organ, dessen Bedürfnisse uns zwingen und durch dessen Kraft die anderen zwingt) ‒ steht für ein ganzes Bündel an Beziehungen und Aktivitäten, die die Stellung des Individuums in der Polis und in der Welt bestimmen; dazu gehören die Familie, der Reichtum, die Redetätigkeit, der Stand, das politische Leben, die Freiheit und endlich sogar der Name des Individuums. ,Das männliche Glied gleicht den Eltern, weil es zum Samen in Beziehung steht, den Kindern, weil es deren Ursache ist; der Gattin und der Geliebten, weil es für die Freuden der Liebe geschaffen ist; den Brüdern und allen Blutsverwandten, weil vom Geschlechtsglied das verwandtschaftliche Verhältnis der ganzen Familie abhängt. ...‛“ (SuW 3, S.47f.)Die Männermoral der griechischen Antike setzt sich also in der Kaiserzeit ungebrochen fort.
Um so bemerkenswerter ist es, daß Plutarch inmitten der Männergesellschaft der Kaiserzeit ein Buch wie „Amatorius“ schreibt, das den Ehebund auf das Fundament der Einwilligung („Einstimmung“) der Frau und auf der Gegenseitigkeit als Subjekt gründet: „Deutlich sieht man die Rolle, die dieser Einstimmung zugeschrieben wird: den Geschlechtsverkehr samt seinen beiden von der Natur bestimmten Polen von Aktivität und Passivität in die wechselseitige Beziehung des Wohlwollens einzubetten und die körperliche Lust in die Freundschaft einzurücken.“ (SuW 3, S.265)
Man sieht, daß auch im Ehebett die Rollenverteilung zwischen Frau und Mann nicht angetastet wird. Aber die Penetration verliert für den Ehebund ihre zentrale Funktion, wenn auch die Frau als „aktives Subjekt“ agieren kann: „Dieser Bund verdankt seinen Wert und seine Festigkeit dem Schema der doppelten Liebe, in dem jedes der beiden, vom Gesichtspunkt des Eros her, und zwar fortwährend, aktives Subjekt ist; kraft dieser Reziprozität im Akt des Liebens können die sexuellen Beziehungen in die Form des gegenseitigen Zartgefühls und der gegenseitigen Einwilligung eingehen.“ (SuW 3, S.268)
Foucault bezeichnet die Ehe als eine „Stilistik der Existenz zu zweit“ (vgl. SuW 3, S.196), um mit dem Begriff des ,Stils‛ die gewachsene Bedeutung der individuellen Gestaltung einer Beziehung zu zweit zu markieren. Der biologisch und gesellschaftlich bedeutsame Aspekt der Fortpflanzung tritt in den Hintergrund. Die Rollen- bzw. Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau bleibt aber unangetastet. Dennoch bezeichnet Foucault die eheförmige Existenz zu zweit, wie sie Plutarch in „Amatorius“ entwickelt, als „dual in ihrer Form, universal in ihrem Wert und spezifisch in ihrer Intensität“ (vgl. SuW, S.197), alles Prädikate, die ich auch für meine weit fundamentaler ansetzende Formel Ich = Du in Anspruch nehme. Dennoch verbinden sich bei Plutarch und mir völlig unterschiedliche Inhalte mit diesen Prädikaten.
Für den Gebrauch, den die Griechen von den genannten drei Prädikaten gemacht hatten, steht folgende Reihung: „Geschlechtsakt, Eheband, Nachwuchs, Familie, Stadt und darüber hinaus gar menschliche Gemeinschaft ‒ das ergibt eine Reihe, deren Glieder verbunden sind und in der die Menschenexistenz ihre rationale Form findet.“ (SuW 3, S.222)
Diese von Musonius stammende Reihung von ,natürlichen‛, also universellen Merkmalen der Ehe bestätigt letztlich die ungleiche Rollenverteilung. Problematisch ist auch die Vorstellung, daß zwei Menschen in der Ehe eine „neue Einheit“ bilden. (Vgl. SuW 3, S.211) Der Charakter dieser ,Einheit‛ schwankt zwischen der Vorstellung von „zwei() Stücken in einem Gerüst“ bis hin zu einer „vollständigen Verschmelzung“. (Vgl. SuW 3, S.212) Das „Paar“ wird also letztlich, wie Foucault schreibt, als eine „substantielle() Einheit“ verstanden. (Vgl. ebenda)
Eine freie und gleiche Wechselbeziehung zwischen Zweien kann aber nur funktionieren, wenn sie die Differenz zwischen ihnen nicht aufhebt, sondern sie anerkennt. Differenz! Aber eben nicht im Sinne einer Rollenverteilung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen