Der Wille zur Wahrheit (1976/83; SuW 1)
Der Gebrauch der Lüste (1984/86; SuW 2)
Die Sorge um sich (1984/86; SuW 3)
Die Geständnisse des Fleisches (2018/19; SuW 4)
Der Gebrauch der Lüste (1984/86; SuW 2)
Die Sorge um sich (1984/86; SuW 3)
Die Geständnisse des Fleisches (2018/19; SuW 4)
4. Kaiserzeit
‒ Diätetik
‒ Ehe und Zweiheit
‒ Mißbrauch der Zweiheit
‒ Ehe und Zweiheit
‒ Mißbrauch der Zweiheit
Ich möchte vorweg festhalten, daß ich grundsätzlich keine Gefühle, zu denen ich alle körperlichen Regungen einschließlich sexuelle Bedürfnisse zähle, als schlecht qualifiziere. Es gibt für mich nur ein Kriterium, von dem ich erwarte, daß sich alle erwachsenen Menschen daran halten: zunächst und allererst niemand mit seinem Verhalten zu schaden und dann möglichst sich selbst nicht zu schaden. Verbunden mit diesem Kriterium ist die unbedingte Gleichheit der Partnerinnen und Partner, in welcher Konstellation auch immer sie zusammenfinden. Und genau an diesem Punkt stellt sich mir die Frage, inwiefern eine solche Konstellation zwischen Erwachsenen und Minderjährigen überhaupt möglich oder auch nur denkbar ist.
In diesem Blogpost will ich deshalb nochmal kurz auf die „Knabenliebe“ eingehen. Die „Frage der Lust“, schreibt Foucault, stellte sowohl im antiken Griechenland wie auch in der Kaiserzeit einen „schwierigen Punkt“ dar „für eine päderastische Praktik, die sich in der Form der Freundschaft, der Zuneigung und des wohltätigen Wirkens einer Seele auf eine andere reflektiert.“ (SuW 3, S.279)
Freundschaft und Zuneigung waren auch die mit dem pädagogischen Eros verbundenen Argumente von solchen Reformpädagogen wie Gustav Wyneken, dem Leiter des Landerziehungsheims Wickersdorf, im ersten Drittel des 20. Jhdts. gewesen, ein verurteilter Mißbrauchstäter, und Gerold Becker, 1972 bis 1985 Leiter der Odenwaldschule, ebenfalls ein Landerziehungsheim. Ihrer Argumentation diente die Praxis der Knabenliebe im antiken Griechenland als Vorlage.
Interessanterweise war aber schon zweitausend Jahre vor diesen Reformpädagogen die „Anklage der päderastischen Heuchelei“, wie Foucault schreibt, „traditionell“. (Vgl. SuW 3, S.280) Eine Heuchelei übrigens, die, wie ich ergänzen möchte, über Jahrhunderte hinweg Teil einer regelrechten Folklore innerhalb der katholischen Kirche gewesen ist, in der von den Gläubigen die pädophilen Neigungen einer zölibatären Priesterschaft augenzwinkernd zur Kenntnis genommen worden waren. Foucault wird noch deutlicher, wenn er vom „passive(n), also mehr oder weniger vergewaltigte(n) Knabe(n)“ spricht. (Vgl. SuW 3, S.281) So entlarvt Foucault implizit auch die Reformpädagogik des frühen 20. Jhdts., zumindest einen Teil der Reformpädagogik, als Heuchelei: „Der Liebhaber eines Knaben genießt und geht, er gibt nicht.“ (Vgl. SuW 3, S.281)
Sogar die antiken Griechen, die der „Knabenliebe“ überhaupt nicht ablehnend gegenüberstanden, hatten ein Gespür für die fehlende Gleichheit (Reziprozität) der sexuellen Praktiken. Sie glaubten, daß die „Liebe zu den Knaben, bei der die körperliche Lust (von der man annimmt, sie sei nicht reziprok) keinen günstigen Faktor innerhalb der Beziehung abzugeben“ vermochte. (Vgl. 3 SuW 3, S.236)
Allerdings war die fehlende Gleichheit, Symmetrie, Reziprozität, die die antiken Griechen beunruhigte, keine Gleichheit des Ranges, sondern eine der Komplementarität. Man muß sich nur vor Augen führen, daß es dabei um ein Geben und Nehmen geht ‒ der Knabe ,gibt‛ dem älteren Mann Lust, und der ältere Mann gibt dem Knaben ‚Weisheit‛ ‒, um zu verstehen, worin die Heuchelei des pädagogischen Eros besteht.
Ist es also einerseits bemerkenswert, daß sich die alten Griechen überhaupt Gedanken zur Symmetrie und Wechselseitigkeit in der Paarung von Männern und Knaben gemacht hatten, so ist es andererseits doch zugleich ein Zeichen für die Männerdominanz dieser Gesellschaft, daß sie nichts Problematisches darin sahen, daß in der Paarung zwischen Männern und Frauen eine ähnliche Ungleichheit herrschte wie zwischen erwachsenen Männern und Knaben. Bei den Frauen unterstellten sie eine Symmetrie im Sexuellen, obwohl die Männer in allen relevanten Lebensbereichen über die Frauen herrschten. Letztlich bestand diese Symmetrie eben auch nur, ähnlich wie in der Knabenliebe, in der Vorstellung von zueinander komplementären Naturen, die die Rollen der Beteiligten bis in den Geschlechtsakt hinein festlegten. Es handelt sich also um eine Symmetrie der Komplementarität.
In diesem Zusammenhang finden sich auch schon viele Elemente der Vertuschung von Mißbrauch, die auch im 19. und 20. Jhdt. in der Reformpädagogik unter dem Banner eines „pädagogischen Eros“ Verwendung fanden. (Vgl. SuW 3, 257ff.) Auch in der Kaiserzeit läßt Plutarch in seinem Buch „Amatorius“, einem Buch über die Liebe, seine Figur Daphnaias die passende Antwort darauf geben: Daphnaias bezeichnet die Knabenliebe als „Heuchelei der Päderasten“, die „sich gern den Anstrich eines Philosophen und Weisen“ geben, dabei aber nur auf eine Gelegenheit warten, die „insgeheim () begehrten Körper (zu) genießen“. (Vgl. SuW 3, S.258)
Solche ,Gelegenheiten‛ boten reformpädagogische Einrichtungen wie die von Hermann Lietz gegründeten Landerziehungsheime reichlich.
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