(transcript, 357 S., 33,80 €)
1. Prolog
2. Methode
(A) Wildes Denken
(B) Kasuistik und Meditation
3. Anthropologie
4. Identitätsräume und Kommunikationsräume
5. Raumbindungsverluste
6. Gentrifizierung
7. Stadtplanung
Das Thema der Stadtplanung erfordert eigentlich eine andere Methodik als die einer phänomenalen Strukturanalyse, wie ich sie in meinen Posts zur Methode (vom 03.11. und 04.11.2013) beschrieben habe. Für die Stadtentwicklungsprojekte bedarf es eines systemtheoretischen Ansatzes für eine an der Kybernetik orientierte gesellschaftliche Autopoiesis (Selbststeuerung). Eine phänomenale Strukturanalyse geht aber von unhintergehbaren subjektiven Betroffenenperspektiven aus, deren Wohninteressen sich nicht widerspruchsfrei im systemischen Mechanismus profitorientierter Qualitätssteigerungsprojekte integrieren lassen. Ein kybernetischer Ansatz scheint z.B. durch, wenn Sandra Maria Geschke von „Diskursen“ als einem „ Ventil der (Wieder-)Herstellung, Neujustierung und Aufrechterhaltung von Gesellschaft“ (vgl. Geschke 2013, S.141) oder von „dinggesteuerten Raumkonstruktionen“ (Geschke 2013, S.103) spricht.
Ein solches kybernetisches Denkmodell berücksichtigt die Anwohnerinteressen letztlich nur dahingehend, inwiefern sie den Interessen einer Stadtteilsanierung kompatibel gemacht werden können. Ein aktuelles Beispiel ist die Internationale Bauausstellung im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, gegen die sich die Einwohner schon sehr früh zur Wehr gesetzt haben, weil sie genau die Effekte einer Gentrifizierung fürchteten, wie sie inzwischen auch eingetreten sind. Sogar eine kritische Stadtforscherin wie Saskia Sassen, Mitglied des IBA-Kuratoriums, hat die Proteste der Einwohner nur als Störung wahrgenommen und ihnen vorgeworfen, die – aus ihrer Sicht natürlich durchweg positiven – Fakten der mit der IBA verbundenen Stadtteilentwicklung nicht zur Kenntnis zu nehmen oder nicht zu verstehen. (Vgl. den offenen Brief des Arbeitskreises Umstrukturierung Wilhelmsburg und die Antwort von Saskia Sassen)
Das ist an dieser Stelle keine Kritik an Sandra Maria Geschkes Buch, in dem ja gerade die subversive Dimension flanerischer (von ‚Flaneur‘) und nomadischer Raumerkundungen und Raumeröffnungen hervorgehoben wird (vgl. Geschke 2013, S.188, 229 u.ö.) und das Checklisten für Stadtentwicklungsprojekte enthält, die sicherstellen sollen, daß die einheimische Stadtbevölkerung nicht übergangen wird (vgl. Geschke 2013, S.263f., 268f., 278f.). Ich möchte nur auf das manipulative Potential einer stadtplanerischen Steuerung von Einwohnerinteressen verweisen, wo über den Hebel der Stadtplanung noch ganz andere Interessen bedient werden. Das wird aber durch den scheinbar menschenfreundlichen Aspekt der Steigerung von Lebensqualität erfolgreich verschleiert.
Neben einem Anhang mit einem Interview mit dem ehemaligen Intendanten des Nordharzer Städtebundtheaters (vgl. Geschke 2013, S.335-357) stellt Geschke am Ende ihres Buches noch drei Stadtentwicklungsprojekte vor: das „BuddyGuide“-Projekt im Ruhrgebiet (vgl. Geschke 2013, S.281-286) und zwei Halberstadter Projekte, in denen die Einwohner eines problematischen Stadtteils mittels eines von Straßenkünstlern und Musikgruppen veranstalteten Aktionsabends wieder auf die Straßen und Plätze ihres Stadtteils gelockt werden sollten (vgl. Geschke 2013, S.286-295) und im Rahmen eines „Vorlesepicknicks“ die großen, aufgrund der schrumpfenden Bevölkerungszahl leeren Plätze wieder mit ‚Sinn‘ erfüllt werden sollten (vgl. Geschke 2013, 296-302).
Insbesondere auf das „BuddyGuide“-Projekt möchte ich hier abschließend kurz eingehen, weil ich auch hier noch einmal auf die Wilhelmsburger IBA verweisen möchte. Bei diesem Projekt handelt es sich um ein Stadtprojekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet von 2010. Das Projekt wurde zweieinhalb Jahre lang geplant und vorbereitet. Dahinter verbarg sich „die Idee eines Netzwerks an Menschen, die als Ortsansässige und damit einheimische Stadtführer nach thematischen Interessen gebucht werden können und getreu ihres Persönlichkeitsprofils Besucher in individuellen Erkundungstouren durch ihr jeweiliges Stadtgebiet führen.“ (Vgl. Geschke 2013, S.281)
Die einheimischen Stadtführer sollten den Touristen in einem Mix aus persönlichen Lebensgeschichten und ortsbezogenen Anekdoten die individuelle Aura des Ruhrgebiets vermitteln. (Vgl. Geschke 2013, S.285) Das Projekt ist dann aber nicht umgesetzt geworden.
In Wilhelmsburg hat es schon lange vor der IBA ebenfalls so ein „BuddyGuide“-Projekt gegeben, das im Unterschied dazu sehr erfolgreich umgesetzt worden ist. Das Freizeithaus Kirchdorf-Süd veranstaltet schon seit etwa fünf Jahren Stadtteilführungen durch Wilhelmsburg unter dem Titel „Die Wilde 13“. Das bezieht sich auf die Buslinie 13, die für die Wilhelmsburger eine große Bedeutung hat. Die Buslinie zieht sich quer durch den Stadtteil und berührt alle wichtigen Stationen des täglichen Lebens. Alle Altersgruppen nutzen sie, um zur Schule oder zur Arbeit zu fahren oder die Einkäufe zu erledigen. Das Freizeithaus Kirchdorf-Süd bietet also von Einwohnern geführte Bus-Touren durch den Stadtteil an, und stößt damit offensichtlich auf genug Interesse, um dieses Projekt schon seit so vielen Jahren erfolgreich fortführen zu können.
Die IBA hat nun dieses Konzept übernommen – selbstverständlich ohne sich dabei mit dem Freizeithaus abzusprechen, geschweige denn es in die Planung und Durchführung einzubeziehen – und ebenfalls Busführungen unter dem Titel „Die Wilde 13“ angeboten. Unter diesem Titel wurde sogar ein von der IBA unterstützter Film zur Buslinie gedreht. Es ist fast schon überflüssig, zu ergänzen, daß in dem Film nicht auf die stadtteileigene Historie dieser Busführungen hingewiesen wird.
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