Herzlichen
Dank erst einmal für die ausführliche und exzellente Besprechung des
Buches, die mir sehr gut gefallen hat. Sehr gut. Vielleicht könnte man
einmal in einer öffentlichen Runde diese Dinge diskutieren.
Post 1-4 habe ich allerdings nicht gefunden …Ich kommentiere im folgenden alle Posts
5-10
zusammen und mache keine Trennung. Daher bin ich mir nicht sicher, wo
dieser Kommentar auf Ihrer Site hingestellt werden kann, Sie können es
gerne übernehmen und ihn an richtiger Stelle einsortieren …Im
folgenden eine kurze Stellungnahme von meiner Seite zu einigen Punkten,
die Sie aufwerfen. Bitte bedenken Sie, dass hier einiges ins Unreine
spontan gedacht ist …
- Zentral ist für Sie der Körper, den Sie vernachlässigt sehen in
meiner Argumentation. Sie haben Recht und Unrecht. Konzeptuell liegt
keine Vernachlässigung vor, da der Begriff der Umwelt bei mir ein weiter
ist und somit den des Körpers einschließt. Der Körper ist, aus der
Sicht des Gehirns, Teil der Umwelt. Empirisch bedeutet das, dass die von
mir postulierte statistische Umwelt-Gehirn-Beziehung auch den Körper
mit einschließt, wie Sie selber es an einer Stelle auch anmerken. Das
ist in der Tat ein guter Gedanke und da gebe ich Ihnen Recht.
- Sonderstellung des Körpers im Vergleich zur restlichen Umwelt? Ja
und nein. Nein, weil der Körper prinzipiell auch nur einen Input aus der
Sicht des Gehirns liefert, der dessen intrinsische Aktivität nur
perturbiert. Ja, der Körper ist speziell, weil er die ersten
Umweltstimuli für das Gehirn liefert und das in einer kontinuierlichen
Weise, wodurch sich das Gehirn gut an den Körper anpassen kann in seiner
intrinischen Aktivität. In anderen Worten: Die intrinsische Aktivität
ist sehr viel stärker durch den Körper und seinen rhythmischen Input
strukturiert und organisiert als durch die Umwelt, die eher
diskontinuierlich und non-rhythmischen Input liefert.
- Dies könnte auch phänomenale und epistemologische Konsequenzen
haben. Der Körper ist sehr viel stärker in die von der intrinsischen
Aktivität des Gehirns vermittelten Subjektivität verwoben als die
Umwelt. Daher weist der Körper eine phänomenale und wohl auch
epistemische Sonderstellung auf. Er ist statistisch besonders eng mit
dem Gehirn verbunden und daher Teil der Subjektivität im epistemischen
Sinne. Phänomenal ist er sogar Träger der Subjektivität bzw. die
Subjektivität selber, da wir die Umwelt-Gehirn Einheit als solche nicht
erleben können bzw. kein Bewusstsein von ihr haben. Phänomenal weist der
Körper also tatsächlich die von Ihnen postulierte Sonderstellung auf.
Aufgrund einer ihr zugrundeliegenden epistemischen Limitation nämlich
der, dass die statistische Umwelt-Gehirn Einheit als solche nicht direkt
erlebt werden kann (sondern nur indirekt im Bewusstsein, für das sie
notwendige Bedingung der Möglichkeit ist).
- Diese phänomenale Grenze stellt also eine epistemische Limitation
dar die wir grundsätzlich nicht überwinden können. Wie aber können wir
wissen, dass dort eine Grenze ist? Denn dafür muss etwas jenseits der
Grenze liegen. Wie können wir das wissen? Das ist der Moment, wo die
transzendentale Methode zum Einsatz kommt und mich auf die statistische
Umwelt-Gehirn-Einheit schließen lässt.
- Nun sagen Sie mit den klassischen Kantianern, dass meine
statistische Umwelt-Gehirn-Einheit und damit auch das funktionierende
Gehirn nicht wirklich transzendental sind, sondern empirisch. Sie haben
Recht und Unrecht. Wenn Sie von einer traditionellen Distinktion
empirisch-transzendental ausgehen haben Sie Recht. Dann vermische ich
hier die Ebenen und deklariere etwas falsch-positiv als transzendental
was in Wiklichkeit empirisch ist. Aber Sie selbst sprechen von einer
trasncendentalen Rolle. Sie machen also implizit den Unterschied
zwischen Eigenschaften und Rolle. Die Eigenschaften des funktionierenden
Gehirns sind in der Tat empirisch. Das ist anders als bei Kant und der
Vernunft die non-empirisch ist. Die Rolle des funktionierenden Gehirns,
e.g., der Umwelt-Gehirn Einheit ist hingegen transzendental und nicht
empirisch. Warum? Weil sie nicht direkt zugänglich ist und nur indirekt
erschlossen werden kann. Wir können sie direkt nicht erfassen, siehe
oben. Und wir können sie auch nicht experimentell testen. Denn dazu
müssten wir uns ein Gehirn ohne statistische Umwelt-Gehirn-Einheit
vorstellen. Das aber ist nicht möglich, prinzipiell nicht möglich:
Erstens würden wir dann nicht mehr von einem Gehirn reden, da wir dann
seine intrinsischen Eigenschaften eliminiert haben. Das wäre wie über
ein Herz zu reden, das kein Blut pumpt. Zweitens hätten wir bei einem
solchen Gehirn ohne statistische Umwelt-Gehirn Einheit keinerlei
Bewusstsein mehr. Wodurch jegliche Erkenntnis, zum Beispiel über das
Gehirn und seine Rolle für das Bewusstsein, unmöglich werden würde.
- Man kann also sagen, dass ich versuche empirische Eigenschaften mit
einer transzendentalen Rolle (in epistemischer Hinsicht) zu verknüpfen.
Kant hat versucht, so lese ich ihn, empirisches mit logischem zu
verknüpfen und die Vernunft direkt fruchtbar zu machen für unsere
Erkenntnis der empirischen Welt. Ich versuche epistemisches mit
empirischem zu verknüpfen, ohne ersteres auf letzteres zu reduzieren.
Ich setze also einen non-reduktiven Naturalismus voraus.
- Körper I: Klar ist der Körper eine notwendige Bedingung für das
Gehirn. In empirischer Hinsicht. Denn ohne Körper kein Metabolismus für
das Gehirn und dann auch keine Energie für das Gehirn um seine
intrinsische Aktivität und die statistische Umwelt-Gehirn Einheit zu
konstituieren. Der Zufuhr von Energie scheint zum Beispiel im
vegetativen Zustand (Wachkoma) gestört zu sein.
- Köper II: Der Körper erlaubt uns Handlungen durchzuführen mittels
Bewegungen und Perzeptionen wahrzunehmen mittels
Stimulationen/Sensationen. Der Körper stellt die Muskeln für die
Bewegungen und die Sinnesorgane für die Stimulationen/Sensationen zur
Verfügung. Warum aber gibt es einen Unterschied zwischen Perzeption und
Stimulation/Sensation sowie zwischen Bewegung und Handlung (movement and
action)? Wenn man nur vom Körper selber ausgeht (ohne Gehirn), können
Sie diesen Unterschied nicht erklären. Das ist der Moment, wo der input
des Gehirns relevant wird. Spezifischer seine Umwelt-Gehirn Einheit,
wodurch immer schon eine ‚Passung‘ der bloßen Bewegung an die Umwelt
gegeben ist und wodurch letztendlich die bloße Bewegung der Muskeln zu
einer Handlung wird. Die Passung des Körpers (oder sein ‚tuning‘) an die
Gegebenheiten der Umwelt, die ‚affordances‘ im Sinne von Gibson, kann
also nur vom Gehirn kommen. Daher ist das Gehirn gegenüber dem Körper in
einer Sonderrolle, eine transzendentale Sonderrolle, da wir sie als
solche nicht direkt phänomenal erleben können.
- Körper III: Phänomenal weist also der Körper eine Sonderrolle auf,
empirisch auch, da er das Gehirn mit Energie versorgt, transzendental
hingegen ist das Gehirn speziell mittels der Umwelt-Gehirn Einheit,
epistemisch ist das Gehirn zentral, da es mittels der
Umwelt-Gehirn-Einheit die notwendige Bedingung für die Möglichkeit der
Konstitution von Subjektivität darstellt.
- Körper IV: Wenn Sie wollen, können Sie zwischen zwei Formen der
Subjektivität unterscheiden. Eine phänomenale Subjektivität die als
solche erlebbar ist. Hier ist der Körper erstes Beispiel und die
Grundlage für jede weitere Subjektivität. Siehe Merleau-Ponty, der das
wunderbar dargestellt hat. Davon unterschieden werden muss eine
prä-phänomenale Subjektivität, die als solche nicht erlebbar ist und
dennoch vorhanden sein muss und daher transzendental bzw. prä-phänomenal
ist. Das ist die Subjektivität für deren Möglichkeit die statistische
Umwelt-Gehirn Einheit eine notwendige Bedingung ist. Um von hier zu
Bewusstsein zu kommen bedarf es dann noch mehrerer Schichten. Klar, und
eine Diskrepanz zwischen diesen verschiedenen Schichten wäre dann
phänomenal als freier Wille erlebbar, ich folge hier Ihrer Idee, die ich
sehr interessant finde. Freier Wille wäre dann also immer schon
relational, e.g., auf dem Boden der Umwelt-Gehirn-Einheit, und nicht
isoliert wie häufig implizit vorausgesetzt.
- Sie sehen, dass ich hier, was ich Domänen nenne, zugrundelege.
Phänomenale Domäne, epistemische Domäne, empirische Domäne ... Gehirn
und Bewusstsein können in jeder dieser Domänen betrachtet werden. Das
zielt auf einen transdisziplinären Ansatz und unterminiert die
klassische Disziplinentrennung zwischen Philosophie und
Naturwissenschaften radikaler als die von Ihnen vorgeschlagene
Theorie/Philosophie der Neurowissenschaften (analog zur
Philosophie/Theorie der Psychologie, etc.). Philosophische Inhalte
werden dann naturwissenschaftlichen Methoden zugänglich und umgekehrt
werden auch naturwissenschaftliche Inhalte wie das Gehirn einer
philosophischen Betrachtungsweise und Methodik zugänglich. Letzteres
ist, was ich als Neurophilosophie verstehe. Kritisch ist eine solche, da
sie sich ihrer Grenzen, epistemisch und empirisch, bewusst ist ...
- Konzept des Unterbewusstein. Interessanter Begriff den Sie hier
einführen. Searle spricht von einem Konzept das Bewusstsein, das weiter
ist und das Unbewusste mit einschließt. Er subsumiert alle die Zustände
unter dem Begriff des Bewusstseins, die prinzipiell die Möglichkeit
haben, bewusst zu werden. Das schlösse also Ihren Begriff des
Unterbewusstseins mit ein. Ich spreche hier von einem ‚Principal
consciousness‘ (siehe in meinem im Herbst herauskommenden Büchern:
Unlocking the brain. Volume I – Coding, Volume II – Consciousness;
Oxford University Press). Dem gegenübergestellt werden müssten dann alle
die Zustände, für die es prinzipiell unmöglich ist, bewusst zu werden,
das deep unconscious und nonconsicous, wie Searle es sagt. Ich spreche
daher von einem principal nonconscious. Das dürfte ihren Begriff des
Unbewussten einschließen.
- Meine Umwelt-Gehirn Einheit zielt auf das Principal consciousness.
Und der Traum ist teil davon. Ihrer Interpretation meines Traumkapitels
stimme ich zu. Ein Traum ...
Der nach innen gerichtete Umweltbezug (zum Körper hin) wird über die Zellen vermittelt, wobei das Gehirn wie auch der Körper aus Zellen bestehen. Der nach aussen gerichtete Umweltbezug ist damit schwer zu vergleichen.
AntwortenLöschenInteressante Anmerkung. Damasio weist ebenfalls darauf hin, daß die Gehirnzellen keine speziellen, vom Körper getrennten Zellen sind, sondern daß es sich um Körperzellen handelt. Es gibt keine anatomische Differenz zwischen den Geirnzellen und irgendwelchen anderen Zellen irgendwoanders im Körper.
AntwortenLöschenInteressant ist auch, dass der Umweltbezug des Menschen scheinbar komplett auf das Gehirn verlagert wird. Die zweckmäßige oder sinnvolle Konzeption der zentralnervösen Strukturen wurde von der Selektion angeleitet im Sinne des Aussterbens der "Fehler". Diese Konzeption gilt sogar für beide Umweltbezüge, nach innen wie nach aussen.
AntwortenLöschenWas bei diesem Gehirn-Umweltbezug immer wieder übergangen wird ist die 'Haut' als Grenze zwischen Innen und Außen.
AntwortenLöschenWas ist dir denn an der Haut so wichtig?
AntwortenLöschenDa fällt mir nur eine Antwort zu ein: versuch mal, ohne sie klar zu kommen. Oder anders: wo sollen diejenigen, die Dir nahe sein wollen, Dich berühren? Überhaupt: was ist Nähe ohne Haut? Wenn sich die Härchen aufrichten und ein Schauer über sie hinwegläuft? Die Haut ist ein Organ, wie auch das Gehirn ein Organ ist. Aber sie ist ein Organ an der Grenze, ein Grenzorgan. Nimm dem Gehirn die Haut (und ich meine nicht die Gehirnhaut), und es verschrumpelt, einfach weil es nichts mehr hat, das ihm Input liefert.
AntwortenLöschenAlles richtig. Der nach innen gerichtete Umweltbezug (Northoff) endet an der Haut, die gleichzeitig auch ein nach aussen gerichtetes Sinnesorgan ist. Ein Organ, an dem der Doppelaspekt auftaucht. Die Gestalthaftigkeit des Embryos/Säuglings könnte über die Haut erfahren worden sein, weil sie die gesamte Körperoberfläche wahrnimmt.
AntwortenLöschenPS: Hast du noch Kontakt zu Georg Northoff, v.wg. Genom - Gehirn (Vergleich). Hab kurz nach ihm gegoogelt (Neurophilosophie), scheint ein starker Vertreter zu sein.
Ich habe seltenen, aber verläßlichen Kontakt.
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