„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Georg Northoff zu Kommentaren von Detlef Zöllner

Herzlichen Dank erst einmal für die ausführliche und exzellente Besprechung des Buches, die mir sehr gut gefallen hat. Sehr gut. Vielleicht könnte man einmal in einer öffentlichen Runde diese Dinge diskutieren. Post 1-4 habe ich allerdings nicht gefunden …Ich kommentiere im folgenden alle Posts 5-10 zusammen und mache keine Trennung. Daher bin ich mir nicht sicher, wo dieser Kommentar auf Ihrer Site hingestellt werden kann, Sie können es gerne übernehmen und ihn an richtiger Stelle einsortieren …Im folgenden eine kurze Stellungnahme von meiner Seite zu einigen Punkten, die Sie aufwerfen. Bitte bedenken Sie, dass hier einiges ins Unreine spontan gedacht ist …
  • Zentral ist für Sie der Körper, den Sie vernachlässigt sehen in meiner Argumentation. Sie haben Recht und Unrecht. Konzeptuell liegt keine Vernachlässigung vor, da der Begriff der Umwelt bei mir ein weiter ist und somit den des Körpers einschließt. Der Körper ist, aus der Sicht des Gehirns, Teil der Umwelt. Empirisch bedeutet das, dass die von mir postulierte statistische Umwelt-Gehirn-Beziehung auch den Körper mit einschließt, wie Sie selber es an einer Stelle auch anmerken. Das ist in der Tat ein guter Gedanke und da gebe ich Ihnen Recht.
  • Sonderstellung des Körpers im Vergleich zur restlichen Umwelt? Ja und nein. Nein, weil der Körper prinzipiell auch nur einen Input aus der Sicht des Gehirns liefert, der dessen intrinsische Aktivität nur perturbiert. Ja, der Körper ist speziell, weil er die ersten Umweltstimuli für das Gehirn liefert und das in einer kontinuierlichen Weise, wodurch sich das Gehirn gut an den Körper anpassen kann in seiner intrinischen Aktivität. In anderen Worten: Die intrinsische Aktivität ist sehr viel stärker durch den Körper und seinen rhythmischen Input strukturiert und organisiert als durch die Umwelt, die eher diskontinuierlich und non-rhythmischen Input liefert.
  • Dies könnte auch phänomenale und epistemologische Konsequenzen haben. Der Körper ist sehr viel stärker in die von der intrinsischen Aktivität des Gehirns vermittelten Subjektivität verwoben als die Umwelt. Daher weist der Körper eine phänomenale und wohl auch epistemische Sonderstellung auf. Er ist statistisch besonders eng mit dem Gehirn verbunden und daher Teil der Subjektivität im epistemischen Sinne. Phänomenal ist er sogar Träger der Subjektivität bzw. die Subjektivität selber, da wir die Umwelt-Gehirn Einheit als solche nicht erleben können bzw. kein Bewusstsein von ihr haben. Phänomenal weist der Körper also tatsächlich die von Ihnen postulierte Sonderstellung auf. Aufgrund einer ihr zugrundeliegenden epistemischen Limitation nämlich der, dass die statistische Umwelt-Gehirn Einheit als solche nicht direkt erlebt werden kann (sondern nur indirekt im Bewusstsein, für das sie notwendige Bedingung der Möglichkeit ist).
  • Diese phänomenale Grenze stellt also eine epistemische Limitation dar die wir grundsätzlich nicht überwinden können. Wie aber können wir wissen, dass dort eine Grenze ist? Denn dafür muss etwas jenseits der Grenze liegen. Wie können wir das wissen? Das ist der Moment, wo die transzendentale Methode zum Einsatz kommt und mich auf die statistische Umwelt-Gehirn-Einheit schließen lässt.
  • Nun sagen Sie mit den klassischen Kantianern, dass meine statistische Umwelt-Gehirn-Einheit und damit auch das funktionierende Gehirn nicht wirklich transzendental sind, sondern empirisch. Sie haben Recht und Unrecht. Wenn Sie von einer traditionellen Distinktion empirisch-transzendental ausgehen haben Sie Recht. Dann vermische ich hier die Ebenen und deklariere etwas falsch-positiv als transzendental was in Wiklichkeit empirisch ist. Aber Sie selbst sprechen von einer trasncendentalen Rolle. Sie machen also implizit den Unterschied zwischen Eigenschaften und Rolle. Die Eigenschaften des funktionierenden Gehirns sind in der Tat empirisch. Das ist anders als bei Kant und der Vernunft die non-empirisch ist. Die Rolle des funktionierenden Gehirns, e.g., der Umwelt-Gehirn Einheit ist hingegen transzendental und nicht empirisch. Warum? Weil sie nicht direkt zugänglich ist und nur indirekt erschlossen werden kann. Wir können sie direkt nicht erfassen, siehe oben. Und wir können sie auch nicht experimentell testen. Denn dazu müssten wir uns ein Gehirn ohne statistische Umwelt-Gehirn-Einheit vorstellen. Das aber ist nicht möglich, prinzipiell nicht möglich: Erstens würden wir dann nicht mehr von einem Gehirn reden, da wir dann seine intrinsischen Eigenschaften eliminiert haben. Das wäre wie über ein Herz zu reden, das kein Blut pumpt. Zweitens hätten wir bei einem solchen Gehirn ohne statistische Umwelt-Gehirn Einheit keinerlei Bewusstsein mehr. Wodurch jegliche Erkenntnis, zum Beispiel über das Gehirn und seine Rolle für das Bewusstsein, unmöglich werden würde.
  • Man kann also sagen, dass ich versuche empirische Eigenschaften mit einer transzendentalen Rolle (in epistemischer Hinsicht) zu verknüpfen. Kant hat versucht, so lese ich ihn, empirisches mit logischem zu verknüpfen und die Vernunft direkt fruchtbar zu machen für unsere Erkenntnis der empirischen Welt. Ich versuche epistemisches mit empirischem zu verknüpfen, ohne ersteres auf letzteres zu reduzieren. Ich setze also einen non-reduktiven Naturalismus voraus.
  • Körper I: Klar ist der Körper eine notwendige Bedingung für das Gehirn. In empirischer Hinsicht. Denn ohne Körper kein Metabolismus für das Gehirn und dann auch keine Energie für das Gehirn um seine intrinsische Aktivität und die statistische Umwelt-Gehirn Einheit zu konstituieren. Der Zufuhr von Energie scheint zum Beispiel im vegetativen Zustand (Wachkoma) gestört zu sein.
  • Köper II: Der Körper erlaubt uns Handlungen durchzuführen mittels Bewegungen und Perzeptionen wahrzunehmen mittels Stimulationen/Sensationen. Der Körper stellt die Muskeln für die Bewegungen und die Sinnesorgane für die Stimulationen/Sensationen zur Verfügung. Warum aber gibt es einen Unterschied zwischen Perzeption und Stimulation/Sensation sowie zwischen Bewegung und Handlung (movement and action)? Wenn man nur vom Körper selber ausgeht (ohne Gehirn), können Sie diesen Unterschied nicht erklären. Das ist der Moment, wo der input des Gehirns relevant wird. Spezifischer seine Umwelt-Gehirn Einheit, wodurch immer schon eine ‚Passung‘ der bloßen Bewegung an die Umwelt gegeben ist und wodurch letztendlich die bloße Bewegung der Muskeln zu einer Handlung wird. Die Passung des Körpers (oder sein ‚tuning‘) an die Gegebenheiten der Umwelt, die ‚affordances‘ im Sinne von Gibson, kann also nur vom Gehirn kommen. Daher ist das Gehirn gegenüber dem Körper in einer Sonderrolle, eine transzendentale Sonderrolle, da wir sie als solche nicht direkt phänomenal erleben können.
  • Körper III: Phänomenal weist also der Körper eine Sonderrolle auf, empirisch auch, da er das Gehirn mit Energie versorgt, transzendental hingegen ist das Gehirn speziell mittels der Umwelt-Gehirn Einheit, epistemisch ist das Gehirn zentral, da es mittels der Umwelt-Gehirn-Einheit die notwendige Bedingung für die Möglichkeit der Konstitution von Subjektivität darstellt.
  • Körper IV: Wenn Sie wollen, können Sie zwischen zwei Formen der Subjektivität unterscheiden. Eine phänomenale Subjektivität die als solche erlebbar ist. Hier ist der Körper erstes Beispiel und die Grundlage für jede weitere Subjektivität. Siehe Merleau-Ponty, der das wunderbar dargestellt hat. Davon unterschieden werden muss eine prä-phänomenale Subjektivität, die als solche nicht erlebbar ist und dennoch vorhanden sein muss und daher transzendental bzw. prä-phänomenal ist. Das ist die Subjektivität für deren Möglichkeit die statistische Umwelt-Gehirn Einheit eine notwendige Bedingung ist. Um von hier zu Bewusstsein zu kommen bedarf es dann noch mehrerer Schichten. Klar, und eine Diskrepanz zwischen diesen verschiedenen Schichten wäre dann phänomenal als freier Wille erlebbar, ich folge hier Ihrer Idee, die ich sehr interessant finde. Freier Wille wäre dann also immer schon relational, e.g., auf dem Boden der Umwelt-Gehirn-Einheit, und nicht isoliert wie häufig implizit vorausgesetzt.
  • Sie sehen, dass ich hier, was ich Domänen nenne, zugrundelege. Phänomenale Domäne, epistemische Domäne, empirische Domäne ... Gehirn und Bewusstsein können in jeder dieser Domänen betrachtet werden. Das zielt auf einen transdisziplinären Ansatz und unterminiert die klassische Disziplinentrennung zwischen Philosophie und Naturwissenschaften radikaler als die von Ihnen vorgeschlagene Theorie/Philosophie der Neurowissenschaften (analog zur Philosophie/Theorie der Psychologie, etc.). Philosophische Inhalte werden dann naturwissenschaftlichen Methoden zugänglich und umgekehrt werden auch naturwissenschaftliche Inhalte wie das Gehirn einer philosophischen Betrachtungsweise und Methodik zugänglich. Letzteres ist, was ich als Neurophilosophie verstehe. Kritisch ist eine solche, da sie sich ihrer Grenzen, epistemisch und empirisch, bewusst ist ...
  • Konzept des Unterbewusstein. Interessanter Begriff den Sie hier einführen. Searle spricht von einem Konzept das Bewusstsein, das weiter ist und das Unbewusste mit einschließt. Er subsumiert alle die Zustände unter dem Begriff des Bewusstseins, die prinzipiell die Möglichkeit haben, bewusst zu werden. Das schlösse also Ihren Begriff des Unterbewusstseins mit ein. Ich spreche hier von einem ‚Principal consciousness‘ (siehe in meinem im Herbst herauskommenden Büchern: Unlocking the brain. Volume I – Coding, Volume II – Consciousness; Oxford University Press). Dem gegenübergestellt werden müssten dann alle die Zustände, für die es prinzipiell unmöglich ist, bewusst zu werden, das deep unconscious und nonconsicous, wie Searle es sagt. Ich spreche daher von einem principal nonconscious. Das dürfte ihren Begriff des Unbewussten einschließen.
  • Meine Umwelt-Gehirn Einheit zielt auf das Principal consciousness. Und der Traum ist teil davon. Ihrer Interpretation meines Traumkapitels stimme ich zu. Ein Traum ...

8 Kommentare:

  1. Der nach innen gerichtete Umweltbezug (zum Körper hin) wird über die Zellen vermittelt, wobei das Gehirn wie auch der Körper aus Zellen bestehen. Der nach aussen gerichtete Umweltbezug ist damit schwer zu vergleichen.

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  2. Interessante Anmerkung. Damasio weist ebenfalls darauf hin, daß die Gehirnzellen keine speziellen, vom Körper getrennten Zellen sind, sondern daß es sich um Körperzellen handelt. Es gibt keine anatomische Differenz zwischen den Geirnzellen und irgendwelchen anderen Zellen irgendwoanders im Körper.

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  3. Interessant ist auch, dass der Umweltbezug des Menschen scheinbar komplett auf das Gehirn verlagert wird. Die zweckmäßige oder sinnvolle Konzeption der zentralnervösen Strukturen wurde von der Selektion angeleitet im Sinne des Aussterbens der "Fehler". Diese Konzeption gilt sogar für beide Umweltbezüge, nach innen wie nach aussen.

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  4. Was bei diesem Gehirn-Umweltbezug immer wieder übergangen wird ist die 'Haut' als Grenze zwischen Innen und Außen.

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  5. Was ist dir denn an der Haut so wichtig?

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  6. Da fällt mir nur eine Antwort zu ein: versuch mal, ohne sie klar zu kommen. Oder anders: wo sollen diejenigen, die Dir nahe sein wollen, Dich berühren? Überhaupt: was ist Nähe ohne Haut? Wenn sich die Härchen aufrichten und ein Schauer über sie hinwegläuft? Die Haut ist ein Organ, wie auch das Gehirn ein Organ ist. Aber sie ist ein Organ an der Grenze, ein Grenzorgan. Nimm dem Gehirn die Haut (und ich meine nicht die Gehirnhaut), und es verschrumpelt, einfach weil es nichts mehr hat, das ihm Input liefert.

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  7. Alles richtig. Der nach innen gerichtete Umweltbezug (Northoff) endet an der Haut, die gleichzeitig auch ein nach aussen gerichtetes Sinnesorgan ist. Ein Organ, an dem der Doppelaspekt auftaucht. Die Gestalthaftigkeit des Embryos/Säuglings könnte über die Haut erfahren worden sein, weil sie die gesamte Körperoberfläche wahrnimmt.
    PS: Hast du noch Kontakt zu Georg Northoff, v.wg. Genom - Gehirn (Vergleich). Hab kurz nach ihm gegoogelt (Neurophilosophie), scheint ein starker Vertreter zu sein.

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  8. Ich habe seltenen, aber verläßlichen Kontakt.

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