„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 3. November 2017

Christine & Frido Mann, Es werde Licht. Die Einheit von Geist und Materie in der Quantenphysik, Frankfurt a.M. 2017

1. Zusammenfassung
2. Esoterik oder Exoterik?
3. Bewußtsein
4. Ganzheitlichkeit und Gestaltwahrnehmung

In einem Exkurs meditiert Christine Mann über die Bedeutung von ‚Geist‘. Sie setzt dieses Wort vom Begriff der Materie ab und beschließt, daß sie „alles, was nicht Materie oder physikalisch erfassbare Energie ist, als Geistiges verstehen will“. (Vgl. CFM 2017, S.125) Unter dieses Nicht-Materielle faßt Christine Mann „unser Denken, die Sprache, die Mathematik, vielleicht auch Schönheit und Harmonie“. (Vgl. CFM 2017, S.124)

Diese Reihe von ‚Geist‘-Begriffen ist in sich problematisch, weil sie sehr unterschiedliche Bewußtseinsphänomene zusammenfaßt, so daß schwerwiegende Differenzen zwischen ihnen verlorengehen. Sprache, Mathematik und Schönheit haben sehr wenig bis gar nicht miteinander zu tun. So ist es nicht richtig, daß Formeln, wenn sie schön sind, auch wahr sind. Und Sprache und Mathematik unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Bedeutungshaftigkeit: Sprache ist immer bedeutungsvoll, Mathematik ist bedeutungsleer; ungefähr so leer, wie die von CFM beschriebene Quanteninformation. (Vgl. CFM 2017, S.134ff.)

Natürlich hängt dabei alles vom Begriff der Bedeutung ab. In meinem Blogpost „Schatten und Symbole“ habe ich mich detaillierter dazu geäußert. (Vgl. meinen Post vom 15.06.2012) Wie man wiederum den Begriff ‚Bedeutung‘ definiert, hängt davon ab, was man unter ‚Bewußtsein‘ und unter ‚Geist‘ versteht. Während ich mich dabei auf Helmuth Plessners Körperleib beziehe und Bedeutsamkeit auf die Differenz von Sagen und Meinen zurückführe, die wiederum mit der Differenz zwischen Innen und Außen zusammenhängt, auf deren Grenze sich das Bewußtsein exzentrisch positioniert, arbeiten Christine und Frido Mann mit dem Informationsbegriff; und sie fassen das Bewußtsein als „interne Informationsverarbeitung“ (vgl. CFM 2017, S.140f.). Dabei fassen sie den Informationsbegriff so weit, daß er dem biblischen Logos entspricht: „Am Anfang war der Logos ... Am Anfang war die Information.“ (CFM 2017, S.195).

Zugleich lassen sie die „Evolution des Geistigen“ mit dem Urknall beginnen und vorerst beim menschlichen Bewußtsein enden, insofern das „Bewusstsein nicht nur sich selbst erkennende Information ist, sondern auch ein gleichzeitig sämtliche Evolutionsstufen der Information erkennendes und ggf. wissenschaftliches Subjekt“. (Vgl. CFM 2017, S.133ff. und S.137) Bedeutung besteht hier nicht mehr in einer Differenz, sondern darin, daß Außenweltphänomene für die Selbsterhaltung von Organismen und für das individuelle Bewußtsein entweder nützlich oder schädlich sind:
„Denn Lebewesen sind fähig, Informationen aus ihrer Umwelt als äußere, für ihre Existenz als bedeutungsvoll erkannte Reize intern zu bewerten und darauf zu antworten.() Konkret heißt das: Lebewesen geraten von Natur aus ständig aus ihrem labilen, lebenserhaltenden Gleichgewicht heraus. Von innen führt beispielsweise der andauernde physiologische Stoffwechsel zu Hunger und Durst, die körperliche und geistige Beanspruchung des Körpers bzw. auch des Gehirns zu Müdigkeit und Erschöpfung, und von außen kann übermäßige Hitze und Kälteeinwirkung die natürliche Wärme- und Flüssigkeitsregulierung empfindlich beeinträchtigen und massives Unwohlsein hervorrufen.“ (CFM 2017, S.141f.)
Mit dem Begriff der Informationsverarbeitung steht der rechnerische Aspekt im Vordergrund, und der Unterschied zwischen Sagen und Meinen geht völlig verloren. Innen und Außen bilden nur noch Momente der Bedürfnisbefriedigung im Dienste der Gleichgewichtserhaltung und keine bewußtseinsstiftende Grenze, an der sich unsere Intentionalität bricht. Das Bewußtsein steht in einer Kontinuität mit der „Evolution des Geistigen“ (vgl. CFM2017, S.139) und fällt anders als bei Plessner nicht mehr als eine Diskontinuität aus ihr heraus. Das Bewußtsein ist CFM zufolge „in einem dichten, unser ganzes Universum durchdringenden Netz elektromagnetischer Wellen eingebettet“, von dem „unser Weltall erfüllt ist“ als „einem immensen, pulsierenden und ineinanderschwingenden Komplex von Energiefeldern“. (Vgl. CFM 2017, S.190)

Die weltanschauliche Deutung, die Christine und Frido Mann den quantentheoretischen Erkenntnissen geben, beruht letztlich auf Entscheidungen, die über Wissenschaft hinausgehen. Sie sind nicht wissenschaftlicher als andere weltanschauliche Präferenzen. Sie können also nicht von sich behaupten, daß ihr Konzept wissenschaftlich begründet sei, so wenig wie sie behaupten können, daß der Determinismus durch die Quantenphysik „glücklicherweise widerlegt“ sei (vgl. CFM 2017, S.209). Ich habe im Laufe meines Lebens häufig genug erlebt, wie scheinbar in Stein gemeißelte wissenschaftliche Erkenntnisse durch neuere Studien widerlegt wurden: Butter galt als ungesund und Margarine als gesund, Lamarck hatte unrecht und Darwin hatte recht, der Genuß von Kaffee schadet unserer Gesundheit, Schwangere sollen Contergan-Medikamente einnehmen usw.usf.

Was sollen die Menschen machen, wenn künftige Wissenschaftler mit neuen Erkenntnissen die Quantenphysik überwinden und feststellen, daß der Kosmos doch deterministisch ist? Sollen sie dann ihnen glauben und nicht mehr den heutigen Quantenphysikern?

Es ist wohl eine bessere Option, wieder mehr dem eigenen Verstand zu vertrauen und das eigene Leben eigenverantwortlich zu führen. Das bedeutet keineswegs, die Erkenntnisse der Wissenschaft zu ignorieren. Es bedeutet nur, die Entscheidungen für das eigene Leben selbst zu treffen und sie sich von niemandem abnehmen zu lassen. Und für diese Lebensführung scheinen mir die Plessnersche Anthropologie und Husserls Phänomenologie eine brauchbare Basis zu bilden.

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