„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 1. November 2017

Christine & Frido Mann, Es werde Licht. Die Einheit von Geist und Materie in der Quantenphysik, Frankfurt a.M. 2017

1. Zusammenfassung
2. Esoterik oder Exoterik?
3. Bewußtsein
4. Ganzheitlichkeit und Gestaltwahrnehmung

Das Ehepaar Christine und Frido Mann, im Folgenden kurz CFM, hat mit seinem Buch „Es werde Licht“ (2017) den Versuch einer allgemeinverständlichen Darstellung der Quantenphysik unternommen und entfaltet deren Implikationen für ein neues, Geistes- und Naturwissenschaften sowie religiös-weltanschauliche Erfahrungen miteinander verbindendes Weltbild. Unabhängig davon, ob alle Leserinnen und Leser, einschließlich dem Rezensenten, den Autoren darin immer und überall inhaltlich und verstandesmäßig zu folgen vermögen, möchte ich doch meinen, daß es ihnen weitestgehend gelungen ist. Trotz des etwas esoterisch angehauchten Titels und der mystisch anmutenden Umschlaggestaltung sprechen die Autoren in erster Linie den Verstand des Lesers an:
„Dieses Buch bewegt sich gewissermaßen auf einer Gratwanderung zwischen einerseits empirisch gesicherten Fakten, ohne primär eine naturwissenschaftliche Abhandlung zu sein, und andererseits weitgreifenden gedanklichen Schlussfolgerungen mit einer neuen Sicht des Bewusstseins.“ (CFM 2017, S.23)
Die Autoren distanzieren sich ausdrücklich von „jede(r) Form von parawissenschaftlicher Esoterik“. (Vgl. CFM, S.23)

Das „Es werde Licht“ erinnert nicht nur an den biblischen Schöpfungsmythos, sondern soll auch auf das eigentliche Thema der Quantenphysik verweisen: auf den Dualismus von Teilchen und Welle im subatomaren Bereich. Je weiter die Forschung im 20. Jhdt. nämlich auf der Suche nach den kleinsten materiellen Bauteilchen vorgedrungen war, löste sich alles in elementare Energiezustände auf, die je nach Versuchsanordnung mal als Wellen, mal als Teilchen gedeutet werden konnten. Damit war der Determinismus der klassischen Physik CFM zufolge endgültig überwunden:
„Das heißt, im subatomaren Bereich ist etwas, was nach unseren Vorstellungen überhaupt nicht miteinander zu vereinbaren ist, ein und dasselbe. Die Gegensätze fallen ineinander, wie schon Cusanus es sich ... vorgestellt hatte. Dieses Grundprinzip gilt nicht nur für das Licht, sondern für sämtliche Elementarteilchen.“ (CFM 2017, S.107)
Obwohl die klassische Physik für den Bereich unserer alltäglichen Wahrnehmungen ihre Gültigkeit behält, sind quantenphysikalische Effekte wie die Heisenbergsche „Quantenunbestimmtheit“, also die Unmöglichkeit, Ort und Impuls eines Teilchens gleichzeitig bestimmen zu können, CFM zufolge durchaus nicht auf den subatomaren Bereich beschränkt. Sie erstrecken sich auch auf kleinere Moleküle und auf biologische Prozesse in einer Zelle. (Vgl. CFM 2017, S.97f.) CFM verweisen auf die Komplexität innerzellulärer Stoffwechselprozesse, in denen „die Quantenphysik mit ihrem Grundprinzip der Unbestimmtheit höchstwahrscheinlich eine Rolle spielt“, und auf den „Bereich der Vererbung“:
„Denn nachdem sich eine Sperma- und eine Eizelle vereinigt haben, teilen sich die Gene, um sich neu zu verbinden. Wo genau sie sich teilen, ist nicht festgelegt. Diese Unbestimmtheit unterliegt höchstwahrscheinlich quantenphysikalischen Gesetzen. Durch diese Fülle an offenen Möglichkeiten wird erst die Vielfalt in der Entwicklung von Lebewesen möglich, die sich dann an unterschiedliche Umgebungsbedingungen anpassen können, indem immer die am besten für ihre Umgebung angepassten Lebewesen sich vermehren und allmählich die weniger geeigneten verdrängen.“ (CFM 2017, S.112)
An dieser Stelle beschränken sich die Autoren auf den Bereich der Fortpflanzung mit ihren zufallsbedingten Mutationen. Ein weiterführender Ausblick auf die Bedeutung der individuellen Ontogenese mit ihrer Epigenetik unterbleibt. Entsprechend fokussieren sich CFM auf eine Evolution des Geistes bzw. des Geistigen, die auf kosmologischer Ebene beim Urknall ansetzt und – vorerst – beim menschlichen Bewußtsein endet. (Vgl. CFM 2017, S.134) Damit heben sie die Kontinuität des Geistigen hervor, wie es beispielsweise in mathematischen Strukturen sichtbar wird. (Vgl. CFM 2017, S.22 und S.124)

In einem umfassenden kulturgeschichtlichen Überblick zeichnen die Autoren nach, wie sich der Gegensatz zwischen empirisch-naturwissenschaftlicher und ideal-geistiger Weltdeutung von den Vorsokraktikern über Platon und Aristoteles bis heute in einer ständigen „Spiralbewegung“ durch die abendländische Geschichte gezogen hat, bis er, nach ihrer Auffassung, zu Beginn des 20. Jhdts. durch Einstein und die Quantentheoretiker endgültig überwunden wurde. (Vgl. CFM 2017, S.25-100) In vielem erinnert ihre Darstellung der elektromagnetischen Strahlung an Rupert Sheldrakes morphogenetische Felder, den sie allerdings an keiner Stelle erwähnen. (Zu Sheldrake vgl. meine Posts vom 31.01. bis 08.02.2013) So sollen CFM zufolge die Naturgesetze nur eine statistische Geltung haben. (Vgl. CFM 2017, S.209) Sheldrake spricht in diesem Zusammenhang von ‚Gewohnheiten‘. Außerdem soll insbesondere der „langwellige() Elektromagnetismus aus beliebiger Entfernung“ Informationen übertragen können. (Vgl. CFM 2017, S.198) Genau diese Eigenschaft schreibt Sheldrake auch seinen morphogenetischen Feldern zu.

Elektromagnetische Wellen sollen auch die komplexen Stoffwechselvorgänge in den Zellen ermöglichen. CFM verweisen auf die komplexen Abstimmungsnotwendigkeiten im Innern des Organismusses und in seiner Auseinandersetzung mit der Umwelt:
„Je komplexer die Vorgänge in den entstehenden und sich entwickelnden Zellen wurden, desto komplexer wurden die Strukturen, desto genauer mussten sie aufeinander abgestimmt sein. Und solches ist nur möglich mit innerer Information über das ganze Lebewesen ... Ebenso sind auch Informationen über das im Umfeld vorhandene Angebot hilfreich zum Überleben. Die chemischen Reaktionen, die vor der Entstehung des Lebens eine einfache Verbindung von Molekülen ermöglichten, gewannen mit der Entstehung des Lebens eine Bedeutung für die Lebewesen.“ (CFM 2017, S.140f.)
Nur elektromagnetische Strahlung, also ‚Licht‘, ist schnell genug, um eine effektive „interne Informationsverarbeitung“ zu gewährleisten, die für die Erhaltung eines labilen biologischen Gleichgewichts unerläßlich ist:
„Die Geschwindigkeit in der das alles abläuft, ist nur auf der Quantenebene möglich, wo ständig mehrere Möglichkeiten der Weiterentwicklung offenstehen und jeweils mit dem Faktisch-Werden einer Möglichkeit die anderen Möglichkeiten unrealisiert bleiben.“ (CFM 2017, S.142)
Um die informative Qualität elektromagnetischer Strahlung zu erklären, greifen CFM auf das Konzept eines anderen Autorenpaars zurück: Brigitte und Thomas Görnitz. Diese beiden Autoren haben ein Konzept entwickelt, demzufolge Qubits als einfachste und „über den ganzen Kosmos ausgedehnte Einheiten“ „Ur-Alternativen“ bilden, also Ja und Nein, bevor über das Eine oder Andere entschieden worden ist. (Vgl. CFM 2017, S.134). Görnitz & Görnitz bezeichnen diesen Zustand als „bedeutungsfreie Quanteninformation“ (vgl. CFM 2017, S.135); ‚bedeutungsfrei‘, weil in diesem Zustand die Bedeutung, die so ein Qubit für etwas oder für jemand haben könnte, noch offen ist. Der Qubit ist noch ‚ungeprägt‘, weshalb sein Zustand auch als „Protyposis“ bezeichnet werden kann:
„Diese Quanteninformation ist die einfachste Struktur, die es geben kann, denn sie enthält nur die Alternative ja/nein, oder, wie es im Computer ausgedrückt ist: 1 oder 0. Sie enthält sozusagen die zwei alternativen Antworten auf eine Information, nämlich sein oder nicht sein.“ (CFM 2017, S.135)
Mit diesem Informationsverarbeitungsmodell wird der Begriff der Bedeutung nicht nur auf Bewußtseinsprozesse, sondern auch auf Lebensprozesse bezogen. Es gilt generell für alle Lebensprozesse, daß es sich dabei um labile Gleichgewichtszustände handelt, die die Außenwelt nach ihrer Relevanz für die eigene Lebenserhaltung bewerten. Alles, was die fundamentalen Bedürfnisse des eigenen Stoffwechsels befriedigt (oder gefährdet), ist bedeutungsvoll:
„Damit wird die ursprünglich bedeutungsfreie Information zur bedeutungsvollen Quanteninformation. Und mit dem aus dem Leben hervorgehenden Bewusstsein schließlich erscheint Protyposis als sich selbst erlebende und selbst erkennende Quanteninformation.()“ (CFM 2017, S.136)
Die Evolution des Geistigen schreitet also von den verschiedenen Zuständen lebloser Materie über lebendige Organismen bis hin zum menschlichen Bewußtsein fort, indem der ursprünglich bedeutungsfreien Protyposis Bedeutung hinzugefügt wird. Die Hinzufügung von Bedeutung zur Protyposis, also zur den Körper durchdringenden elektromagnetischen Strahlung, geschieht durch die Mechanismen des Stoffwechsels in den Zellen und der Vorgänge im Gehirn, wie es CFM am Beispiel einer Sinneswahrnehmung detaillierter beschreiben. Zunächst verweisen die Autoren auf das Eintreffen eines Reizes bzw. Signals im entsprechenden Sinnesorgan:
„Die Informationen wechseln ihren Träger und werden als virtuelle Photonen über Ionentransport entlang den Nervenbahnen zu anderen Nervenzellen und Zellkomplexen im Gehirn geleitet und verarbeitet. Schon dieser Weg der Nervenbahnen mit ihren verschiedenen, durch frühere Erfahrungen gewachsenen Verzweigungen und ihren hemmenden oder aktivierenden Verbindungen (Synapsen) fügt den von außen kommenden Informationen weitere, bisher in Neuronen gespeicherte Informationen aus dem Lebewesen hinzu. Im Gehirn wird die Information in den Nervenzellen immer wieder auf weitere Photonen übertragen, und dies bewirkt Veränderungen in den Energieniveaus von Molekülen. Die dabei ablaufenden elektromagnetischen Wechselwirkungen verändern auch die Photonen wieder, zum Beispiel ihre Richtung oder ihre Polarisation, und sie ergänzen damit die von außen kommenden Informationen mit in den Lebewesen gespeicherten Informationen. Auf diese Weise werden im Gehirn die meist sehr komplexen, aber noch bedeutungsfreien elektromagnetischen Schwingungen des sichtbaren Lichts, die Schallwellenstruktur von Geräuschen und die ebenfalls meistens vielfältige, aber noch bedeutungsfreie chemische Struktur von Gasgemischen usw. mit einer oder mehreren Bedeutungen versehen.() Da die ins Gehirn gelangenden Photonen sowohl die Information über die Außenwelt als auch über die Nervenbahn mit sich bringen, kann das Gehirn diese Photonen mit umfangreicherer Bedeutung versehen. So werden Farbmixturen zu Bildern, Schallwellenkomplexe zu Klängen und Gasgemische zu Gerüchen. Diese Bedeutungen sind meistens erlernt und subkortikal gespeichert.“ (CFM 2017, S.153)
Das ist alles insoweit stimmig. Aber CFM arbeiten hier mit einem ganz bestimmten Bewußtseinsmodell, in dem die Wahrnehmung vor allem als Informationsverarbeitung verstanden wird. Dabei geht die Differenz von Innen und Außen, auf der ja auch der Begriff des Stoffwechsels beruht, verloren. Das Bewußtsein stellt letztlich nur eine Verlängerung dieses Stoffwechsels dar: es reicht nur bis zur Befriedigung der Bedürfnisse und nicht weiter. Zwar kommen die Autoren auch auf die Selbstreflexion zu sprechen, da sich ja CFM zufolge im menschlichen Bewußtsein die Evolution des Geistigen zu einem Kreis schließen soll, indem es sich zu einem „gleichzeitig sämtliche Evolutionsstufen der Information erkennende(n) und ggf. wissenschaftliche(n) Subjekt“ entwickeln soll. (Vgl. CFM 2017, S.137) Aber damit verfehlen CFM die Grenze des Körperleibs, wie sie Helmuth Plessner beschrieben hat. Denn das Bewußtsein bildet nicht einfach nur eine Fortsetzung des kosmischen Evolutionsprozesses. Dazu mehr in den folgenden Posts.

PS (03.011.17): Ein Blogleser merkt folgende Punkte an:
  • Die Neuverteilung der Gene passiert vor der Befruchtung und sind keine Mutationen.
  • Photonen werden nicht von Neuron zu Neuron weiter gereicht.
  • Und die Quantenphysik nimmt an Stärke ab, wenn man von der Strahlung zum Atom und weiter zum Molekül wandert.

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