„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 21. Juni 2017

Anmerkungen zu Axel Meyers „Adams Apfel und Evas Erbe. Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer“ (München 2015)

Axel Meyer ist Evolutionsbiologe. Ihm geht es seinen eigenen Worten zufolge um die Macht der Gene und um ihre Grenzen. (Vgl. Meyer 2015, S.16) Hinsichtlich der Intelligenz hält Meyer fest:
„Erblichkeitsberechnungen der Variation von Intelligenz reichen von 30 Prozent bis zu 80 Prozent. ... Im Detail hängt die Größe dieses Wertes davon ab, welcher Aspekt von Intelligenz gemessen wird, in welcher (sozialen) Population dies geschieht und vor allem in welchem Lebensalter die Erblichkeit errechnet wurde. Denn interessanterweise steigt die gemessene Erblichkeit mit dem Lebensalter an.“ (Meyer 2015, S.256)
Es ist also offensichtlich, gerade was den Hinweis auf die Altersabhängigkeit betrifft, daß wir es bei der Intelligenz, was genau sie im Einzelfall auch immer sein mag, mit einem komplexen Persönlichkeitsmerkmal zu tun haben. Und genau mit diesen komplexen Persönlichkeitsmerkmalen machen es sich Evolutionsbiologen wie Axel Meyer gerne leicht. Das zeigt sich z.B. bei der Erblichkeit von Krankheiten, wo er sich zu folgender Aussage versteigt:
„Aber auch ein noch so gesunder Lebenswandel wird uns nicht retten können, wenn unsere Gene uns für eine Krankheit prädisponieren.“ (Meyer 2015, S.19)
Gerade lese ich ein Buch von Peter Spork: „Gesundheit ist kein Zufall“ (2017), mit dem bezeichnenden Untertitel: „Wie das Leben unsere Gene prägt“. Dieser Untertitel bildet Sporks zentrale These. Nicht die Gene prägen uns und unser Leben, sondern wir prägen mit unserem Leben die Gene! Gesundheit ist für Spork deshalb auch weder Schicksal noch Zufall:
„Die Gesundheit eines Menschen ist nicht die bloße Summe beider voneinander unabhängiger Komponenten (Erbe und Umwelt – DZ), sondern viel viel mehr. Sie ist das Produkt des beständigen, teils hochdynamischen, teils lang anhaltenden Zusammenwirkens von Erbe und Umwelt. Und das heißt eben auch: Unser Handeln wirkt. Immer!“ (Spork 2017, S.48f.)
Mit ,Produkt‘ meint Spork die Multiplikation, nicht die Summe dreier Faktoren: Genetik, individuelles Handeln und Umwelt. Wenn einer der drei Faktoren auf Null gesetzt wird, ist das Gesamtergebnis Null. Die Gesundheit ist deshalb nicht das Gegenteil von Krankheit, sondern ein ständiger Anpassungsprozeß an die Lebensumstände eines Individuums, wozu auch die Krankheit gehört:
„Gesundheit ist nicht das Gegenteil von Krankheit. Sie ist ein Prozess. Sie ist Anpassungsfähigkeit, geglückte Prägung und Widerstandskraft, resultiert aus einer ausgeglichenen Persönlichkeit und bewirkt diese zugleich.“ (Spork 2017, S.328)
Obwohl Spork sich auf dieselben genetischen Erkenntnisse bezieht wie Axel Meyer, kommt er zu völlig gegenteiligen Schlußfolgerungen; vor allem, weil er im Unterschied zu Meyer die Epigenetik einbezieht, das biologische Substrat der individuellen Persönlichkeit eines Menschen. Durch die „perinatale Prägung“, also durch die epigenetische Prägung des Erbguts während der Schwangerschaft und der ersten Monate nach der Geburt (vgl. Spork 2017, S.140ff.) entsteht eine individuelle Persönlichkeit, die auch ihr ganzes weiteres Leben hindurch durch ihr Handeln die Aktivierbarkeitsmuster ihrer Gene modifiziert. Denn im Unterschied zur DNA ist die Epigenetik reversibel. (Vgl. Spork 2017, S.351f.)

Insbesondere komplexe Persönlichkeitsmerkmale sind Spork zufolge niemals das Ergebnis des Genoms, sondern des Epigenoms, das die Gene zu komplexen Genaktivierbarkeitsmustern zusammenfügt, die sich von Mensch zu Mensch unterscheiden, ohne daß sich an der eigentlichen DNA irgendetwas ändert. Gesundheit ist ein ähnlich komplexes Persönlichkeitsmerkmal wie übrigens auch die Intelligenz:
„Intelligenz ist ebenso wie Gesundheit eines der komplexesten Merkmale überhaupt. Es setzt sich aus dem Zusammenspiel einiger tausend() Gene mit den entsprechenden Anweisungen zur Genregulation zusammen: Bildung, sozialer Status, Wohlstand, psychische Stabilität, Zugang zu Medien und vieles mehr mischen hier entscheidend mit.“ (Spork 2017, S.74)
Schon aufgrund der simplen Tatsache, daß wir Menschen miteinander mehr als 99 % des Genoms gemeinsam haben, möglicherweise sogar 99,9 %, kann ein so komplexes Merkmal wie ‚Intelligenz‘, bei dem mehrere tausend komplex verschaltete Gene zusammenspielen müssen, nicht auf Unterschiede im Genom zurückgeführt werden. Führt man sich vor Augen, daß wir mit Schimpansen mehr als 98 % des Erbguts teilen (vgl. Spork 2017, S.74f.), dann wird vollends klar, daß die (relativ) großen phänotypischen Unterschiede zwischen ihnen und uns auf anderem Wege zustandekommen.

Was den Menschen betrifft: Setzt man im Dreiklang aus Erbe, Umwelt und individuellem Handeln die Umwelt konstant – also gleiche Eltern, gleiche Bildung, gleiche Kultur etc. – dann macht das Genom nur noch einen Unterschied von maximal fünf Punkten auf der IQ-Skala:
„Nur wenn die Umweltbedingungen zweier Menschen ähnlich sind und ähnlich waren, steigt der messbare genetische Anteil am verbleibenden Intelligenz-Unterschied zwischen ihnen also tatsächlich auf jene 30 bis 80 Prozent, die aktuelle Zwillingsstudien als Wert angeben. ... Diese maximal 80 Prozent machen dann aber absolut gesehen nur wenige IQ-Werte aus, vielleicht drei bis fünf, und dieser Unterschied ist letztlich belanglos.“ (Spork 2017, S.79f.)
Wer sein Buch aufmerksam gelesen habe, so Spork, sei auf einem „aktuelleren Stand der Wissenschaft als die meisten Gesundheitsfachleute“. (Vgl. Spork 2017, S.329) Ich füge hinzu: die Leserin, der Leser seines Buches ist auch auf einem aktuelleren Stand der Wissenschaft als bei der Lektüre von Axel Meyers Buch, das ich vor einiger Zeit in diesem Blog besprochen habe. (Vgl. meine Posts vom 25.10. bis 01.11.2015)

Peter Sporks Buch liefert eine Fülle von Material zum Zusammenhang zwischen den verschiedenen Entwicklungsebenen, die den Menschen ausmachen: Biologie, Kultur bzw. Umwelt und Individuum. Es legt den Gedanken nahe, daß der Anachronismus zwischen den Entwicklungsebenen vor allem ein Ergebnis der letzten 10.000 Jahre ist, während der Steinzeitmensch über Jahrhunderttausende hinweg mit seiner Biologie im Einklang lebte. Eine ausführlichere Besprechung von Sporks Buch mit einer neuen Graphik zu den Entwicklungsebenen habe ich für Anfang September geplant.

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