„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 21. November 2016

Bettina Stangneth, Böses Denken, Reinbek bei Hamburg 2/2016

(rowohlt, Hardcover, 254 Seiten, 19,95 €)

1. Zusammenfassung
2. Unterscheidung von gut und böse
3. Formen des bösen Denkens
4. Grenzen des Denkens
5. Empathie als Kognition
6. Handlungssubjekte
7. Schlichtes Handeln

Wir leben in einer komplexen Welt, in der wir „nicht sicher berechnen (können), was auch nur eine einzelne Handlung auslösen wird“. (Vgl. Stangneth 2/2016, S.28) Dazu ist das Erkenntnisvermögen des Menschen zu begrenzt. (Vgl. Stangneth 2/2016, S.33) Hinzu kommt, daß wir Technologien entwickelt haben, die einen neuen Graben zwischen den Generationen aufgerissen haben, der durch keine gemeinsamen generationenübergreifenden Erfahrungen mehr gefüllt werden kann:
„Wer ... mit der Wirklichkeit der Vernetzung und des ständigen Online-Kontakts aufgewachsen ist, findet den einfachsten Weg nicht mehr ohne all das. Unser mal wohlmeinender mal ungeduldiger, aber immer dummer Rat, das Zeugs doch einfach nicht so wichtig zu nehmen und abzustellen, wenn es nervt, klingt da zumindest so existenziell bedrohlich wie die digitale Hetzmeute. Das Aufwachsen in einer durch die Digitalisierung erweiterten Realität hat längst mehr verändert, als dass sich noch vom üblichen Generationenkonflikt reden ließe.“ (Stangneth 2/2016, S.197)
Das gilt natürlich nur für den Teil der nachwachsenden Generation, der überhaupt Zugang zu der vernetzten Welt hat. Man darf nicht vergessen, daß ein Großteil der Menschen immer noch offline ist. Dennoch bringt Stangneths Analyse das Problem korrekt auf den Punkt:
„Der Hinweis auf die größere Bedeutung von Wissen und damit auch dem Wissen, wie man es erwirbt, bedeutet nur, dass man nicht mehr vieles tun kann, wenn man nicht auch bereit ist, vieles zu lernen. Alles andere würde schließlich bedeuten, dass in einer komplexen Welt überhaupt niemand mehr in der Lage sei, verantwortungsbewusst zu handeln, ohne sich in die Einöde zurückzuziehen, in die das Weltgetriebe nicht reicht ...“ (Stangneth 2/2016, S.102)
Nichts tun ist jedenfalls keine Option. Genau deshalb legt Bettina Stangneth auch so viel Wert auf die Einfachheit und Schlichtheit des Moralgesetzes, das den gordischen Knoten nicht etwa mühsam aufdröselt, sondern wie ein scharfes Schwert durchschneidet:
Wenn deine Art und Weise zu handeln eine Welt schafft, in der du nicht selber an der Stelle eines jeden anderen leben wollen würdest, dann handle anders.“ (Stangneth 2/2016, S.9)
Das, so Stangneth, kann wirklich jeder begreifen, unabhängig von Herkunft, Glaube und Bildungsstand. Hinzu kommt diese innere, hartnäckig störende Stimme der Vernunft, die sich immer dann meldet, wenn unsere Vorstellungen untereinander und in Bezug auf unser Handeln aus der Balance geraten und widersprüchlich geworden sind. Hier haben wir es mit einer Form der Achtsamkeit zu tun, die man auch üben kann und üben muß, um für diese leise Stimme der Vernunft sensibel zu bleiben. Ungeachtet der radikalen Freiheit, sich jederzeit gegen das Gute entscheiden zu können – so wie man sich auch jederzeit gegen das Böse entscheiden kann – plädiert Stangneth für die Einübung einer „Haltung“, „weil erfahrungsgemäß alles dadurch einfacher wird, dass der Mensch es übt“. (Vgl. Stangneth 2/2016, S.163)

Die Schlichtheit des Moralgesetzes stellt Stangneth zufolge keine Überforderung des Menschen dar, indem sie ihm eine unmenschliche Konsequenz der Pflichterfüllung aufzwingt, die in einer komplexen Welt notwendigerweise scheitern muß. Ihr entspricht vielmehr die Schlichtheit eines Handelns, das eine neuartige Balance beinhaltet zwischen dem Wenigen, das wir wissen, und dem Wenigen, das wir, als Individuen, tun können:
„Aufklärung ist die Forderung an jeden Einzelnen, bei genau dem anzufangen, was er selber anfangen kann, also tatsächlich vernünftig zu handeln, statt vom Paradies zu träumen; in jeder einzelnen Handlung, immer wieder, Tag für Tag, weil es nur darauf ankommt.“ (Stangneth 2/2016, S.245f.)
Das leuchtet mir ein, und deshalb soll es auch das Schlußwort sein.

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