„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 3. November 2014

Michael Tomasello, Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens, Berlin 2014

1. Zusammenfassung
2. Vom kreativen Sprung zum abduktiven Sprung
3. Algorithmen und Metaphern
4. Subjekt-Prädikat-Strukturen
5. Brechung des Intentionsstrahls
6. Ontogenese und Phylogenese
7. Externe Kommunikationsvehikel
8. Von individueller Kooperation zur Konkurrenz der Gruppen
9. Modularisierung der menschlichen Intelligenz

Wo Systemtheoretiker und Medienwissenschaftler von Kommunikationsmedien sprechen, spricht Tomasello von Kommunikationsvehikeln und meint damit vor allem die Gesten und (ikonischen) Gebärden des Frühmenschen und die Wortsprache des modernen Menschen: „Menschliche Kommunikatoren stellen Situationen und Entitäten durch externe Kommunikationsmittel für andere Personen begrifflich dar; diese anderen Personen versuchen dann zu bestimmen, warum der Kommunikator meint, daß diese Situationen und Entitäten für sie relevant sein werden.“ (Tomasello 2014, S.16)

Dabei berücksichtigt Tomasello ausdrücklich nicht die Schriftlichkeit der menschlichen Kommunikation: „... wir haben uns nur kursorisch mit dem Menschen nach dem Entstehen der Landwirtschaft und mit all den Komplexitäten beschäftigt, die aus der Vermischung der Kulturgruppen erwuchsen, aus der Fähigkeit zum Lesen und Schreiben sowie der Fähigkeit zum Rechnen und aus Institutionen wie Wissenschaft und Regierung.“ (Tomasello 2014, S.223)

Da es Tomasello bei den Kommunikationsvehikeln gerade um deren externen Status geht, ist es erstaunlich, daß er die Schriftlichkeit, die eigentlich geradezu das Paradigma jedes externen Kommunikationsvehikels bildet, nicht eigens thematisiert und reflektiert. (Vgl. hierzu meine Posts vom 18.11. und vom 09.12.2012) Damit unterschlägt er eine wichtige, vor etwa 5000 Jahren einsetzende und die immerhin einige Jahrhunderttausende umfassende Mündlichkeit ablösende Phase der Menschheitsentwicklung. Indem Tomasello auch schon Gesten, Gebärden und Wortsprache als primär externe Kommunikatonsvehikel kennzeichnet, entgeht ihm darüberhinaus die Doppelaspektivität dieser Kommunikationsformen, die nicht einfach nur ‚extern‘ sind, sondern an der Grenze zwischen Innen und Außen stehen und deshalb nicht nur instrumentell und informativ, sondern vor allem auch expressiv sind.

Tomasello hebt zwar hervor, daß es eine wesentliche Eigenschaft der ‚externen‘ Kommunikationsvehikel sei, daß sie schon den Frühmenschen zur Selbstbeobachtung befähigen: „Mead (1934) hat in diesem Zusammenhang auf die wesentliche Rolle der offenen Wahrnehmbarkeit hingewiesen. Während sie mit anderen in offen wahrnehmbaren – entweder deiktischen oder symbolischen – Akten kommunizierten, sahen oder hörten die Frühmenschen sich dabei zu, wie sie selbst diese Akte vollzogen, wobei sie sie dann so wie der Empfänger verstanden (nämlich als füreinander perspektiviert).“ (Tomasello 2014, S.117) – Denn man kann, so Tomasello, „über das eigene Denken nur dann reflektieren ..., wenn es in äußerem Verhalten ausgedrückt wird“. (Vgl. Tomasello 2014, S.175)

Aber diese eigentlich schon ein Innen-Außen-Verhältnis zum Ausdruck bringende Verhältnisbestimmung externer Kommunikationsvehikel führt bei Tomasello eben nicht zu einer entsprechenden Grenzbestimmung von Expressivität. Die durch die Kommunikationsvehikel ermöglichte Selbstbeobachtung dient lediglich der besseren Verständigung zwischen den Kommunikationspartnern über ihre gemeinsamen Interessen und Anliegen: „Diese auf Verständlichkeit gerichtete soziale Selbstbeobachtung bei der kooperativen Kommunikation legt das Fundament für moderne menschliche Normen sozialer Rationalität, wobei soziale Rationalität bedeutet, sich einem Partner sinnvoll mitzuteilen.“ (Tomasello 2014, S.91)

Ikonische Gebärden in Form pantomimischer Darstellungen ermöglichen es Tomasello zufolge den Gebärdensprechern erstmals, das eigene Handeln „aus der Perspektive eines Kooperationspartners“ zu regulieren. (Vgl. Tomasello 2014, S.56) Inwiefern den schauspielernden Qualitäten des Gebärdensprechers an der Grenze zwischen Innen und Außen innere, bewußtseinserweiternde Prozesse hinsichtlich seines Selbst- und Weltverhältnisses entsprechen, wird von Tomasello nicht weiter thematisiert und reflektiert. (Vgl. hierzu meinen Post vom 01.06.2013)

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