„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 10. März 2014

Frank Engster, Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit, Berlin 2014

(Neofelis Verlag UG, 790 S., Print (Softcover): 32,--)

(I. Wie ist eine Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft möglich?, S.47-148 / II. Lukács und das identische Subjekt-Objekt der Geschichte: Die Idee des Kommunismus und die Identifikation der Arbeit durch das Maß der Zeit, S.149-324 / III. Adornos negative Dialektik und die Logik der Identifikation durch das Maß, S.325-516 / IV. Zwischen Lukács und Adorno. Alfred Sohn-Rethel, die Wertform als Transzendentalsubjekt und dessen blinder Fleck: Die kapitalistische Bestimmung von Ware und Arbeit, Wert und Geld, S.517-646 / V. Die Rätselhaftigkeit des Geldes durch die Auflösung der Ökonomie in Zeit, S.647-744 / VI. Schluss, S.745-764)

  7. Immanente Kritik?
  8. Von Phänomenen und ihrer Maßlosigkeit
  9. Der Satz vom Sein
10. Anthropologische Genesis

Engsters Kritik an Adornos negativer Dialektik macht auf eine bezeichnende Ambivalenz aufmerksam, die sich sogleich gegen Engster selbst wenden läßt: die „Kritische Theorie“, so Engster, weise ein „ökonomiekritische(s) Defizit“ auf. Es finden sich, so Engster weiter, „in Adornos gesamtem Werk kaum Hinweise auf die Wertformanalyse, auf die Bedeutung des Geldes“, und er führt das u.a. darauf zurück, daß „Adorno sich selbst nicht als Ökonom begreifen wollte“. (Vgl. Engster 2014, S.328, Anm.10) – Na prima!, könnte ich jetzt entgegnen: Adorno weigert sich also, seiner Kritik den „Standpunkt des Geldes“ zugrundezulegen, ohne den es, wie Engster meint, so gar nicht gehen kann, weil man ohne ihn dem „(gesellschaftlichen) Sein“ nicht ‚entsprechen‘ könne! (Vgl. Engster 2014, S.224 und S.358)

Doch in Adornos dem Rezensenten so nachvollziehbarer antipekuniärer Verweigerung steckt eben auch eine für Adornos kritisches Vorhaben fatale Ambivalenz. Adorno will Hegel und Marx – und mit ihnen die kapitalistische Gesellschaft – immanent überwinden, also indem er sich ihrer Kategorien bedient, und wird gerade darin dem Anliegen, das ihn antreibt, untreu: „Er versucht, eine Kritik zu etablieren, die sich zwar in der Tradition von Hegel und Marx als immanente Kritik versteht ..., aber diese immanente Kritik soll die grundlegende Unwahrheit des Bestehenden darstellen; das Bestehende soll gleichsam durch sich selbst seine Unhaltbarkeit eröffnen.“ (Engster 2014, S.347)

Wer nämlich ein bestehendes System, ob es sich dabei nun um ein Theoriegebäude oder um eine gesellschaftliche Praxis handelt, aus sich heraus kritisieren will, muß wohl oder übel auch dessen Standpunkt einnehmen, und das ist in einer kapitalistischen Gesellschaft nunmal das Geld, wie Engster hervorhebt. Adorno spricht dagegen in seiner ökonomischen Naivität schlicht nur vom „Tauschprinzip“, ohne darin das Geld namhaft zu machen, – was übrigens auch für meinen ebenfalls ökonomisch ungeschulten Verstand keinen Unterschied macht. Ich vermag deshalb Adorno daraus keinen Vorwurf zu machen. Letztlich ist ja doch alles irgendwie Geld, also auch das Tauschprinzip.

Der Vorwurf aber, daß Adorno sich dem ökonomischen Fach verweigert und dennoch eine immanente Kritik der kapitalistischen Gesellschaft unternimmt, ist so nicht zu entkräften. Vor allem aber bildet diese immanente Kritik gar nicht den eigentlichen Zweck seiner negativen Dialektik, sondern nur eine Methode, und genau diese ist seinem eigentlichen Anliegen nicht angemessen. Wie Engster völlig zurecht festhält, geht es Adorno darum, der Identifikationslogik des Hegelschen und Marxschen Denkens (vgl. Engster 2014, S.334ff.) ein „Nicht-Identisches“ entgegenzuhalten, das in dieser Identifikationslogik nicht aufgeht. (Vgl. Engster 2014, S.338) Deshalb heißt es ja „negative Dialektik“: „Das Scheitern der Identifikation gibt im Nicht-Identischen nicht nur der Kritik das Maß ab, das Nicht-Identische steht für das in seiner Identifizierung nicht vollständig aufgehende Etwas. ‚Etwas‘ ist in Adornos negativer Dialektik der Begriff oder vielmehr der Name der Unmittelbarkeit, die aufseiten des Daseins und der ‚Präponderanz des Objekts‘ steht ...“ (Engster 2014, S.459)

Daß es ‚etwas‘ „aufseiten des Daseins“ gibt, das in die Hegelsche und Marxsche Dialektik nicht eingeht, das ihr also äußerlich bleibt, eine Vorgängigkeit (Präponderanz) von ‚Dingen‘ bzw. ‚Objekten‘, – genau das ist das eigentliche Anliegen von Adornos negativer Dialektik. Diesem Anliegen entspricht es eben nicht, die Identifikationslogik des (gesellschaftlichen) Seins in Form einer immanenten Kritik zu überwinden, weil so eine Kritik mit einer Affirmation genau der Positivität beginnen müßte, die Adorno ja überwinden will, indem er sie am dieser Positivität immer schon vorgängigen Nicht-Identischen bricht. Er muß es vielmehr in die ‚positive‘ Dialektik von Hegel und Marx als ihr negatives Moment allererst einführen, um sie von ihm aus, also eben nicht immanent überwinden zu können. Das Nicht-Identische ist nämlich keineswegs eine der immanenten Bewegung des Begriffs bzw. des Geldes entspringende Grenzbestimmung, sondern es stellt lediglich eine ‚Markierung‘ desjenigen dar, was gerade nicht in die immanente Bewegung des Begriffs und des Geldes eingeht und in ihr aufgeht!

Marx wußte übrigens um dieses Nicht-Identische, das er als „nicht-aufgehende(n) Rest ‚außer‘ der Arbeit“ bezeichnet und an der Person des Arbeiters festmacht, „der noch etwas (sic!) außer seiner Arbeit für sich ist“. (Vgl. Engster 2014, S.203) Um diesen unbezahlbaren und gleichsam heiligen, dem System sich entziehenden „Rest“ geht es Adorno. An ihm kann weder Hegels noch Marxens Dialektik auf immanente Weise scheitern, da er ja qua Definition gar nicht in sie eingehen kann, es sei denn als Markierung und eben deshalb als äußere „Zutat der Kritik“! (Vgl. Engster 2014, S.329)

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