„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Thomas Nagel, Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist, Berlin 2013

1. These
2. Methode
3. Sprache und Logik
4. Letztbegründungsansprüche
5. Mensch/Welt und Teil/Ganzes
6. Doppelaspektivität
7. Werterealismus
8. Sinn von Sinn

In meinem ersten Post zu „Geist und Kosmos“ hatte ich darauf hingewiesen, daß Nagels Vorstellungen von einer Teleologie ohne Intentionalität (vgl. Nagel 2013, S.136) in sich widersprüchlich seien und es im Rahmen seines Buches nur zwei Optionen gebe, diesen Widerspruch aufzulösen. (Vgl. meinen Post vom 14.12.2013) Auf die eine Option, Sheldrakes Feldbegriff, bin ich im betreffenden Post schon eingegangen. Jetzt möchte ich nochmal auf die andere Option eingehen: auf das Verhältnis von Teil und Ganzem.

Nagel spricht von einem sowohl raumzeitlichen wie auch mentalen „Verhältnis vom Teil zum Ganzen“. (Vgl. Nagel 2013, S.94) Die raumzeitlichen Beziehungen nicht als Kausalverhältnis, sondern als ein aus Teilen zusammengesetztes Ganzes zu verstehen, ist ungewöhnlich. Eigentlich wird eine solche Verhältnisbestimmung üblicherweise eher für mentale Sinnprozesse reserviert. Nagel behauptet aber ganz im Gegenteil, daß wir „keine (mit dem raumzeitlichen Ganzen – DZ) vergleichbar klare Idee“ davon haben, „wie mentale Zustände auf der Ebene des Organismus aus den Eigenschaften von Mikroelementen zusammengesetzt sein könnten“ und „ob diese Eigenschaften vom Typ her unseren Erlebniszuständen ähnlich oder verschieden sind.“ (Vgl. Nagel 2013, S.94)

Mit dieser Feststellung impliziert Nagel, daß die Zerlegbarkeit und Zusammensetzbarkeit der physikalischen Raumzeit in ihre „Mikroelemente“ als das Vorbild für alle bislang in Frage kommenden Teil-Ganzes-Beziehungen zu verstehen sei und daß zu diesem raumzeitlichen Ganzen auch die mentalen Zustände gehören, die folglich ebenfalls „aus den Eigenschaften“ dieser Mikroelemente zusammengesetzt sein müßten. Außerdem, so Nagel, stellt sich die Frage, ob „unsere() Erlebniszustände()“ mit ähnlichen Eigenschaften wie jene Mikroelemente ausgestattet sind. Alles in allem stellt sich Nagel zufolge das Verhältnis von Teil und Ganzem nicht als eine Eigenschaft von Gestalten dar, wie in der Gestaltwahrnehmung, oder als Erleben von Sinn und Bedeutung, sondern als aus Bauteilen zusammengesetzte geräteartige Dinge. Die Wahrnehmung wird entsprechend von Nagel abgewertet, als eine der Vernunft untergeordnete, physiologische Funktion: „Bei der gewöhnlichen Wahrnehmung sind wir wie Mechanismen, die einem (grob) wahrheitserhaltenden Algorithmus gehorchen.“ (Nagel 2013, S.122)

Zwar gibt es auch andere Stellen, wo sich Nagel gegen die Vorstellung vom „Geist“ als eines aus Einzelteilen zusammengesetzten geräteartigen Ganzen wendet, das „aus einer riesigen Anzahl transistorähnlicher Homunculi aufgebaut ist“. (Vgl. Nagel 2013, S.128) Aber diesen „Geist“ setzt Nagel nicht mit der Wahrnehmung gleich, sondern mit der Vernunftsrationalität. Die Wahrnehmung ist nicht in das Ganze der Vernunftsrationalität einbezogen. Sie bildet nur einen raumzeitlichen Mechanismus.

An keiner Stelle stellt Nagel eine Verbindung seines Teleologiebegriffs mit einem sinnhaften und sinnverstehenden Ganzen her, wie es das menschliche Bewußtsein ausmacht. Dabei würde eine nicht-mechanistische Zuordnung von Teilen zu einem Ganzen, z.B. im Sinne von Figur und Hintergrund oder im Sinne von Sagen und Meinen, verständlich machen, inwiefern es eine Teleologie ohne Intentionalität geben könnte. Gestalthafte Naturprozesse, also Naturphänomene, stellen dann nicht mehr einfach nur mechanische Verknüpfungen von Ursachen und Wirkungen dar und sie wären auch nicht einfach aus irgendwelchen Mikroelementen zusammengesetzt, sondern sie bildeten darüberhinaus relativ stabile Formen bzw. Figurationen, die sich selbst erhalten. Gestalterhaltungs- und -wandlungsprozesse, also Stoffwechselprozesse aller Art, sind in diesem Sinne ‚teleologisch‘ oder ‚autopoietisch‘, ohne zugleich auch intentional zu sein, also notwendigerweise Bewußtsein zu beinhalten.

Insbesondere das Mensch-Welt-Verhältnis, als ein Selbst- und Weltverhältnis des Menschen, ist in diesem Sinne als eine Teil-Ganzes-Beziehung zu denken. (Vgl. meinen Post vom 11.07.2013) Obwohl Nagel sich selbst das Ziel stellt, „ein plausibles Bild davon zu geben, wie wir in die Welt passen“ (vgl. Nagel 2013, S.42), versäumt er es doch, das Mensch-Welt-Verhältnis näher zu bestimmen. Die Folge ist die Abkopplung der Vernunftsrationalität von elementaren Prozessen der Gestaltwahrnehmung.

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