„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 12. Oktober 2013

Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Erster Band: Zur Sprache und zur Psychologie, Stuttgart/Berlin 2/1906

  1. Prolog
  2. Methode
  3. Grundgedanken
  4. Sprache und Individualsprache
  5. Zufallssinne
  6. Bewegung statt Verhalten
  7. Parallelismus
  8. Logik contra Selbstbeobachtung
  9. Expressivität
  10. Seele und Leib
  11. Worte statt Phänomene
  12. Anklänge

„Wohl wird er dann in seinem geistigen Spieltrieb geneigt sein, seine ganze Weltanschauung an dieses sein neues Wort zu knüpfen ....“ (Mauthner, Bd.I, S.701)


Mauthners Hinweis auf den „Spieltrieb“ von Menschen, die ein neues Wort bzw. einen neuen Gedanken entwickelt haben und nun in ihrer Entdeckerfreude eine ganze Weltanschauung auf diesem einen neuen Gedanken aufbauen, entspricht seiner eigenen Vorgehensweise. Im Grunde besteht sein ganzes Denken in nichts anderem als im ständigen Auffinden neuer Beispiele, an denen er immer neue Anwendungen seines eigenen zentralen Gedankens, der „Sprachkritik“, erprobt. Daraus wird nun zwar keine neue Weltanschauung – denn die Zweifelhaftigkeit aller möglichen Weltanschauungen ist ja gerade ein zentrales Thema seiner „Sprachkritik“ –, aber dafür treibt ihn sein „Spieltrieb“ nun durch alle Welt- und Wissensbereiche, auf der Suche nach eventuell noch vorhandenen Weltanschhauungsresten, um ihnen dann – ich bitte um Entschuldigung für den Kalauer – den Rest zu geben.

Der vielfältige Metapherngebrauch in Mauthners „Sprachkritik“ ist zugleich eine Schwäche und eine Stärke. Die Stärke besteht sicherlich darin, daß diese Metaphern ungeheuer anregend sind und einen auf neue Gedanken bringen. Ihre Schwäche besteht aber darin, daß sie gerade aufgrund ihrer bunten Farbigkeit und Unterhaltsamkeit verschleiern, daß sich Mauthner in seinen drei dicken Bänden zu je ca. 700 Seiten gedanklich immer nur auf der Stelle bewegt; daß er in seinem Denken nicht weiterkommt.

Mauthner kommt mir vor wie eine meiner beiden Katzen – um nun selbst zu einem Bild zu greifen –, wenn sie mit einem Wollknäuel spielt. Mauthners Wollknäuel ist seine „Sprachkritik“. An diesem genialen Einfall hält er fest und wiederholt den damit verbundenen Grundgedanken immer wieder. Anstatt aber nun den Faden in die Hand zu nehmen und das Knäuel abzurollen, um einen Pullover daraus zu stricken, wirft und stößt Kater Mauthner es hin und her und jagt es durch die ganze Wohnung, bis es zuletzt unter irgendeinem Schrank oder hinter irgendeiner Truhe verschwindet und wir uns vom Zusehen verwirrt die Augen reiben und uns fragen: War da was?

Für meine folgenden Kommentare werde ich deshalb ähnlich vorgehen. Ähnlich unsystematisch und willkürlich, wie Mauthner sein Thema behandelt, werde ich mir mehr oder weniger willkürlich einzelne Sätze und Thesen vor allem aus dem ersten Band herausgreifen und sie in ihrem logischen Zusammenhang prüfen. Wenn ich dabei auf die zahlreich auftretenden Widersprüche und Einseitigkeiten hinweise, kümmert es mich wenig, wenn möglicherweise andere Leser dieses ersten Bandes oder gar aller drei Bände wiederum mich darauf hinweisen, daß Mauthner an anderen Stellen in diesen drei Bänden die betreffenden Aussagen in einen anderen Zusammenhang stellt und unter einem anderen Gesichtspunkt behandelt, so daß sich die angeblichen Einseitigkeiten wieder auflösen.

Das Hin und Her, das Mal so und Dann wieder anders in Mauthners Gedankengängen ist vor allem dem dauernden Herumspringen des Wollknäuels geschuldet, in dessem Verlauf alle möglichen Aspekte seines Themas irgendwo angestoßen werden. Wenn sich Mauthner auf seiner Fensterbank von der Herumjagerei ausruht und auf die in der Stube verteilten Scherben der umgestoßenen Blumenvasen und heruntergefallenen Porzellanfiguren hinabschaut, kann er zufrieden schnurrend darauf hinweisen, nichts ausgelassen zu haben.

Mir geht es letztlich vor allem darum, das verflixte Wollknäuel selbst in die Hand zu nehmen und daraufhin zu prüfen, ob es zu mehr taugt, als eine wohlgeordnete Welt durcheinander zu wirbeln.

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