„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 17. August 2013

Jan Masschelein/Maarten Simons, Jenseits der Exzellenz. Eine kleine Morphologie der Welt-Universität, Zürich 2010

1. Von der Bildungsuniversität zur Welt-Universität
2. Exzellenz statt Kultur
3. Ein ortloser Standort

In dem Begriff der Bildungsuniversität verbinden Masschelein und Simons Bildung, Kultur und Natur so miteinander, daß Bildung als ein kulturelles Projekt der Naturüberwindung verstanden werden kann. Dabei erscheint die Natur vor allem als Hindernis, als Beschränkung der menschlichen Freiheit, von der man sich ‚emanzipieren‘ muß. (Vgl. Masschelein/Simons 2010, S.17) In diesem Zusammenhang ist an der genannten Stelle direkt von der „Natur“ und an anderer Stelle von der „Kindheit“ die Rede (vgl. Masschelein/Simons 2010, S.17 und S.51), so daß man letztere wohl auch als innere Natur verstehen kann, die über eine „Kultivierung des Charakters“ dem Erwachsenenalter und seinen ‚Freiheiten‘ weichen muß.

Dieser Kultivierungsprozeß beinhaltet also einen Zeitpfeil, der von einer zu überwindenden dunklen Vergangenheit auf eine helle, transparente Zukunft verweist. Dieses „kulturelle Selbstverständnis“ der Bildungsuniversität macht sich Masschelein und Simons zufolge heute niemand mehr zueigen. (Vgl. Masschelein/Simons 2010, S.23) An die Stelle der „Kultur“ ist die „Exzellenz“ getreten, und an die Stelle der Bildungsuniversität die unternehmerische Universität. (Vgl. Masschelein/Simons 2010, S.23-40: 30)

Professoren bilden in der unternehmerischen Universität keine Elite mehr, die über eine höhere Form des Wissens verfügt und deshalb andere, wie z.B. Studierende oder die außeruniversitäre Öffentlichkeit, mit der Autorität von Experten belehren kann, sondern sie werden selbst als Unternehmer verstanden, die eine Nachfrage zu bedienen haben. Professoren sind Manager, die sich mit ihren Unternehmen, den Universitäten, in einer Marktumgebung bewegen, in der die unterschiedlichen Bildungsbedürfnisse von Konsumenten ‚bedient‘ werden müssen: „Von der Universität wird gefordert, sich selbst räumlich in einem Umfeld zu positionieren, sich dauerhaft am Bedarf auszurichten und dabei mit begrenzten Ressourcen auszukommen. Und angesichts dieses Bedarfs und dieser Ressourcen werden eine unternehmerische Haltung und Kreativität zu essentiellen Qualitäten.“ (Masschelein/Simons 2010, S.28)

In so einer Marktumgebung ist für die ‚Kunden‘, also die Studierenden, die sich ebenfalls als Unternehmer verstehen sollen, die in ihre eigene Bildung ‚investieren‘ (vgl. Masschelein/Simons 2010, S.56f.), vor allem der Vergleich entscheidend, mit dessen Hilfe die Qualität des Angebots des jeweiligen Universitätsunternehmens bewertet werden kann. Zu diesem Zweck haben Staaten und überstaatliche Einrichtungen permanente Evaluationssysteme geschaffen. Masschelein und Simons sprechen von einem „Äquivalenz-Raum()“, „in dem der produktive Gebrauch von Ressourcen, und somit alles und jedes, anhand einer einzigen Performanzskala gemessen und beurteilt werden kann. Per Vergleich erhalten die Performanzmessungen und -beurteilungen ihre Aussagekraft und öffnen den Raum für die Erfahrung der Exzellenz. Exzellenzorientierung bedeutet also, dass Universitäten alles nach Maßgabe eines ‚permanenten Qualitätstribunals‘ beurteilen.“ (Masschelein/Simons 2010, S.31)

Es ist also die Exzellenz, die im Äquivalenzraum des Marktes den entscheidenden, weil Profit ermöglichenden Unterschied macht. Die unternehmerischen Studierenden werden diejenigen universitären Angebote ‚kaufen‘, mit deren Hilfe sie ein „Humankapital“ (Masschelein/Simons 2010, S.36f.) produzieren können, das ihre „employability“, also ihre Brauchbarkeit in einer Marktumgebung gewährleistet und so ihr Überleben sichert. Um die Marktumgebung für diese individuellen Bildungsentscheidungen möglichst effektiv zu gestalten, bedarf es eines „globale(n) Positionsbestimmungssystem(s)“ (Masschelein/Simons 2010, S.37), das die ‚Positionen‘ in diesem Äquivalenzraum, also die verschiedenen universitären Angebote übersichtlich ordnet. Wir haben es mit einem globalen Markt zu tun, der den Orientierungsraum auf die ganze Menschheit ausdehnt und für den im Zeichen der Exzellenz regionale Kulturräume nur noch die Funktion haben, einen möglichst profitträchtigen Unterschied zu machen.

Alle sind also auf der Suche nach „Nischen“, sowohl die unternehmerischen Universitäten wie auch die unternehmerischen Studierenden, die ihnen im Vergleich zu ihren Konkurrenten in einer Marktumgebung einen Vorteil verschaffen, weil sie eine spezifische Nachfrage befriedigen, für die sonst niemand oder nur vergleichsweise wenige ein passendes Produkt anbieten: „Der Krieg um Exzellenz setzt also voraus, dass alles und jeder eine Ressource ist und dass Hochschullehrer und Studierende und alle anderen Ressourcen fortwährend und unerbittlich mobilisiert werden, um internationale Exzellenz zu erzielen. Und was dieses Streben nach Exzellenz antreibt, ist Angst.“ (Masschelein/Simons 2010, S.33)

Die Exzellenz wird also durch entsprechende Evaluationsinstanzen einem „permanenten Qualitätstribunal()“ unterzogen, in dem möglichst „alles und jedes, anhand einer einzigen Performanzskala gemessen und beurteilt“ wird. (Vgl. Masschelein/Simons 2010, S.31) Dabei wird das „Streben nach Exzellenz“ von der „Angst vor schlechten Rankings, Fehlwahrnehmungen, negativen Bewertungen, verpassten Gelegenheiten, falschen Entscheidungen“ angetrieben (vgl. Masschelein/Simons 2010, S.33), denn mit der employability steht zugleich auch das Überleben auf dem Spiel: nicht nur in der Marktumgebung, also ökonomisch, sondern – da die Ökonomie ‚globalisiert‘ wurde – auch existentiell.

Die Angst wird so zum Motor des Exzellenzzirkels, das den nach vorn gerichteten Zeitpfeil der Bildungsuniversität zu einer Kreisbewegung gekrümmt hat: „Das Aufkommen unternehmerischer Universitäten, aber ebenso unternehmerischer Hochschullehrer(), Studierender, ja sogar Staaten und Regionen, korreliert mit dem Aufkommen räumlicher Orientierungssysteme oder, um einen eleganteren Ausdruck zu verwenden, mit global positioning systems. ‚Wo stehe ich im Vergleich mit anderen?‘() – das ist die aufreibende Hauptfrage im unternehmerischen System, und die Antwort auf diese Frage versieht den Motor der Innovation mit Treibstoff, der den Zirkel der Exzellenz in Schwung hält.“ (Masschelein/Simons 2010, S.34)

Wir haben es also beim Zirkel der Exzellenz mit einem Feedback-Mechanismus zu tun, das auf sich selbst reagiert. In ihm geht es um die „totale Mobilisierung der Humanressourcen Europas“, die durch ein „(t)otale(s) und permanente(s) Leistungs-Überwachungssystem()“ gewährleistet werden soll. (Vgl. Masschelein/Simons 2010, S.35) Wir wissen aus der Kybernetik, was von solchen positiven Feedback-Schleifen zu erwarten ist. Sie sind höchst instabil und führen zu permanenten ‚Systemabstürzen‘. Es handelt sich dabei um genau den Feedback-Mechanismus, der einem fortdauernden, alternativlosen Wirtschaftswachstum zugrundeliegt. Genau dieses, ein „dauerhaftes Wirtschaftswachstum“ nämlich, soll ja auch durch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen „Wissensgesellschaft“ gewährleistet werden (vgl. Masschelein/Simons 2010, S.30f.).

In dieser Marktumgebung, in dem die Studierenden ihr Humankapital ‚produzieren‘, um ‚Nischen‘ zu besetzen, die ihnen ihr Überleben gewährleisten, haben wir es letztlich mit ‚Subjekten‘ zu tun, die als ‚Unternehmer‘ ihrer selbst nur noch scheinbar ihre eigenen Interessen verfolgen. Das eigentliche Subjekt, wie ja auch der von den Autoren geprägte Begriff des „Äquivalenzraums“ andeutet – Masschelein und Simons sprechen auch von einer „Währung des Humankapitals“ und einer künftigen „Zentralbank des Humankapitals“ (vgl. Masschelein/Simons 2010, S.37f.) – , ist das Geld und sein Selbstverwertungsinteresse. Im Sinne von Christina von Braun („Der Preis des Geldes“ (2012)) haben wir es mit einem „Geldschleier“ zu tun, der verhindert, daß die Menschen merken, daß sie nur Objekte ihres vom Geld gesteuerten Begehrens sind. (Vgl. meinen Post vom 15.12.2012)

So weit gehen Masschelein und Simons mit ihren Analysen aber letztlich doch nicht, und ich werde auf diese Zurückhaltung in meiner Diskussion zu ihrem zweiten Buch noch eingehen. An dieser Stelle folgt erst noch ein Post zur Welt-Universität.

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