„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 30. April 2013

Norbert Bolz, Das Gestell, München 2012

1. Elliptische Argumentation
2. Blumann und Luhmenberg
3. Konvergenz statt Interdisziplinarität
4. Benutzerillusionen
5. Rückkopplung: positiv?
6. Gesellige Technik
7. Körperleibvariationen
8. Der Unternehmerführer

Es gibt zwei Geschichtsdaten, die immer wieder als Zäsuren der menschlichen Kulturentwicklung benannt werden und die eng verknüpft sind mit einer technischen Rationalität, die auch als ‚Zweckrationalität‘ bezeichnet wird. Das eine, auf diese Zweckrationalität sich auswirkende Geschichtsdatum hat Günther Anders in seinen Analysen zur „Antiquiertheit des Menschen“ an der Entwicklung und Produktion der Atombombe festgemacht. Die Atombombe hat Anders zufolge jede technische Zweckrationalität ad absurdum geführt. (Vgl. meinen Post vom 26.01.2011) Das andere Geschichtsdatum hat Jan Assmann an „Auschwitz“ festgemacht, gleichfalls ein Synonym für die Maßlosigkeit einer unkontrollierten, jede Menschlichkeit vernichtenden Zweckrationalität. (Vgl. meinen Post vom 04.02.2011)

Vielleicht kann man sich vorstellen, wie mir die Luft wegblieb, als ich bei Norbert Bolz im Zusammenhang seiner Diskussion von Hobbes’ „Leviathan“ den Satz las: „Zweckrationalität begrenzt die Macht.“ (Bolz 2012, S.64) – Daß ein deutscher Intellektueller mit der Geschichte des 20. Jhdts. im Rücken so einen Satz formulieren kann, in dem es darum geht, den „Fortschritt“ zu würdigen, der Bolz zufolge darin bestanden habe, daß Hobbes den Staat als Maschine konzipiert hatte, ist tatsächlich atemberaubend.

Alle weiteren Aussagen von Bolz zum ‚Unternehmerführer‘ sind in diesem Zusammenhang zu lesen, so daß Bolzens Verständnis für ein eventuelles Unbehagen bei seinen Lesern angesichts des belasteten Führerbegriffs – „Wer dieses Wort aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr benutzen möchte, kann hier auch von Leadership sprechen.“ (Bolz 2012, S.76) – nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß hier eine verhängnisvolle Phase der technischen Zivilisation einfach verschwiegen wird.

Der Unternehmerführer wird bei Bolz zu einer Messiasfigur, wobei in der Bolzenschen Verhältnisbestimmung von Unternehmer und Ingenieur nicht ganz klar ist, wer der Messias und wer der Apostel ist. Geht es darum, die Erfindungen des Ingenieurs zu bewerten und umzusetzen, so haben wir es beim Unternehmer mit dem Apostel zu tun, der die Werke seines Meisters, des Ingenieurs, in die Welt hineinträgt: „Der Führer erfindet nicht, sondern er setzt durch.“ (Bolz 2012, S.76)

Geht es aber darum, ‚tote‘ Möglichkeiten in ‚lebendige‘ Wirklichkeiten zu verwandeln (vgl. Bolz 2012, S.76), so ist eindeutig der Unternehmerführer der Messias, der seine Apostel, die Ingenieure, inspiriert. Man kann, so Bolz, „die Unternehmerfunktion nicht auf Management reduzieren“: „Natürlich geht es nicht ohne Routine, Betrieb und Kreislaufförmigkeit, aber entscheidend ist doch der ‚Unternehmermoment‘(), der die Routine durchbricht.“ (Bolz 2012, S.75) – Der „Unternehmermoment“ steht in einer Linie mit dem „Kairos“, einem schöpferischen Augenblick, der den Menschen dazu befähigt, einzigartige Gelegenheiten zu erkennen und in neue, geschichtliche Möglichkeiten zu verwandeln.

Bolz bezieht sich ausdrücklich auf Joseph Schumpeter und seine Theorie der schöpferischen Zerstörung. (Vgl. Bolz, 2012, S.30 u.ö.) Hier zeigt sich ein weiteres Mal, wie sehr Bolz an der eigentlichen Problematik vorbeifabuliert. Christina von Braun bezieht sich ebenfalls in „Der Preis des Geldes“ (2/2012) auf Schumpeter. (Vgl. meinen Post vom 05.12.2012) Von Braun ordnet aber Schumpeters Theorie in eine Geschichte der Subjektwerdung des nominalistischen Geldes ein, die im heutigen Finanzkapitalismus gipfelt und wohl auch endet. Die Subjektwerdung des Geldes ist der ‚Preis‘, den wir alle zu zahlen haben, und weist in diesem Rahmen, alternativ zu Bolzens endzeitlichen Perspektiven auf das Gestell, diesem eine etwas bescheidenere, dem Geld dienende Funktion zu.

Auch Norbert Bolz spricht von einem „Preis“, den die „moderne Gesellschaft“ bezahlen muß. (Vgl. Bolz 2012, S.56) Dieser Preis besteht im „Absehen“ und „Beseiteschieben“ von „Hinsichten“ und „Rücksichten“. (Vgl. ebenda) Um zu verstehen, von welchen Hinsichten und Rücksichten hier die Rede sein mag, brauchen wir nur nochmal an die Atombombe und an Auschwitz zu denken. Gleichzeitig verschleiert Bolz, welche Rolle dabei das Geld spielt. Zwar ist von „Prämien“ die Rede, die der „Kapitalismus“ „auf die technische Anwendung und wirtschaftliche Verwertbarkeit von Wissenschaft“ aussetzt (vgl. Bolz 2012, S.66), aber hier dient nicht die Technik dem Geld, sondern das Geld der Technik, dem ‚Gestell‘. Das Geld als eigentliches Subjekt der Technikentwicklung wird bei Bolz verschleiert. Nicht umsonst spricht von Braun vom „Schleier des Geldes“, an dem auch Bolz fleißig mitwebt.

Aber macht es einen Unterschied, ob ich nun das Gestell oder das Geld ins Zentrum der Medienanalyse stelle? Läuft nicht beides auf dasselbe Ergebnis hinaus? Im Ergebnis mag es tatsächlich keinen Unterschied machen, – in der Erklärungskraft der Analysen aber schon. Gegenüber von Brauns Analysen fehlt es in Bolzens Gestellanalysen an Erklärungen dafür, woher der ‚Glaube‘ an die Technik kommt: Wie hat es die Technik geschafft, die Bedürfnisse des Menschen zu manipulieren und zu steuern?

Von Braun verknüpft mit der Geschichte des Geldes eine Glaubensgeschichte, eine Geschichte der freien Konvertierbarkeit von Körpern und Symbolen, der die Techniken bis heute gedient haben. Letztlich ist es das Geld, das für den Kurzschluß im Gestell der menschlichen Bedürfnisorganisation sorgt, und so den eigentlichen Motor für die Technikentwicklung bildet. Damit haben wir es beim Gestell trotzdem noch immer mit einem exteriorisierten Vollzug zu tun. Aber wir brauchen diesen Vollzug nicht mehr zu mystifizieren und müssen auch nicht mehr von glorreichen Unternehmerführern phantasieren. Auch die Unternehmerführer folgen dem Geld. „Zeige mir, wohin das Geld fließt, und ich sage Dir, wer dahinter steckt!“, heißt es. Nur eben nicht ‚wer‘, sondern ‚was‘: eben noch mehr Geld ...

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