„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 9. November 2012

Geld und Sinn

(Christina von Braun, Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte, Berlin 2/2012)

Ich hatte mich schon in früheren Posts zum inneren Zusammenhang von ‚Wert‘ (im Sinne von ‚Mehrwert‘) und Sinn geäußert. Dieser innere Zusammenhang besteht im Begriff der ‚Serie‘, den Günther Anders auf einen verdeckten Nihilismus zurückführt: auf das Versprechen einer Anwesenheit, das das Faktum des Abwesenden vergessen macht. Dieser Nihilismus ist unausrottbarer Bestandteil einer Medienwelt, die das Abwesende als anwesend simuliert. (Vgl. meinen Post vom 23.01.2011) Indem die Anwesenheit nur noch als simulierte phantomhaft präsent ist, muß sie sich multiplizieren, um zu sein. Sie geht also in Serie. (Vgl. meine beiden Posts vom 26.01.2011)

Damit hat die Medienwelt eine warenförmige Seinsweise: je mehr Phantome sie produziert, als um so werthaltiger erscheint sie. Der verdeckte Nihilismus der Medienwelt wird zum inneren Motor ihrer ständigen Reproduktion. Sie schafft unablässig ‚mehr‘ ‚Wert‘: also Mehrwert. Aber an die Stelle der Ware, die immerhin etwas Anwesendes ist, ist in der Medienwelt die Information getreten, die zwar nur auf Abwesendes verweist, aber in der medialen Welt selbst als etwas Anwesendes genommen wird. Die Information wird zum Phantom.

An die Stelle der Warenzirkulation tritt also eine Informationszirkulation ohne Bezug auf irgendetwas Reales. Realität erhält sie ausschließlich durch die serienförmige Wiederholung. An dieser Stelle trifft sich Andersens Medienkritik mit Jan Assmanns Textbegriff. (Vgl. meinen Post vom 10.02.2011) Assmann spricht davon, daß Sinn nur durch Zirkulation lebendig sein kann. In Bezug auf Texte heißt das, daß Texte ‚wiederholt‘ werden müssen; d.h. sie müssen gelesen werden. So wie also Informationsphantome in Andersens Medienwelt nur durch Serienproduktion Realität erhalten, haben Texte Assmann zufolge nur dann Sinn,  wenn sie gelesen werden. Diese Parallelität zwischen Günther Anders und Jan Assmann führte mich zu der Vermutung, daß jeder Hermeneutik ein geheimer Nihilismus innewohnt.

Dann stieß ich bei Raoul Schrott und Arthur Jacobs auf den Zusammenhang von Schrift und Geld, den die beiden Autoren in einer spezifisch menschlichen Negationsleistung sehen. (Vgl. meinen Post vom 26.07.2011) Auch hier ist damit die Fähigkeit des Menschen gemeint, etwas Abwesendes als anwesend zu imaginieren. So wie im Text das, wovon in ihm die Rede ist, nicht anwesend ist, und wie im Geld die Ware, die wir damit bezahlen, nicht anwesend ist, beruhen also Sinn und Wert gleichermaßen auf einer Abwesenheit. Und so kommt es zu der von mir angedeuteten Parallelität zwischen Sinn von Sinn und dem Mehrwert. Kurz gesagt: Sinn von Sinn und Zinseszins entsprechen sich in ihrer Prozeßstruktur. (Zum Sinn von Sinn vgl. meine Posts vom 07.07.2011 und vom 15.06.2012)

In dem Buch von Christina von Braun „Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte“ (2/2012), das ich hier und in den folgenden Posts besprechen möchte, werden nun genau diese Zusammenhänge thematisiert und kulturgeschichtlich zurückverfolgt bis zur Entstehung von Alphabet und Geld in der griechischen Antike. Dabei wird noch einmal die rekursive Struktur von Wertvermehrung und Sinnproduktion besonders deutlich. So heißt es z.B., daß „der Vermehrung“ des Geldes „– zumindestens in der Phantasie – keine Grenzen gesetzt“ sind. (Vgl. Braun 2/2012, S.7)

Mit der „Phantasie“ deutet von Braun daraufhin, daß wir es hier mit einer Bewußtseinsfunktion zu tun haben. Wie ich es in diesem Blog schon mehrfach beschrieben habe (vgl.u.a. meinen Post vom 09.06.2012), funktioniert das menschliche Bewußtsein rekursiv, d.h. es werden ständig Bewußtseinsebenen aufeinander bezogen und neue Ebenen hinzugefügt. Dabei ist die Dynamik der Ebenenbildung gleichermaßen potentiell unendlich wie in sich labil und ständig von Abstürzen bedroht. Stabil gehalten wird das ganze lediglich durch einen mehr oder weniger stark ausgebildeten Weltglauben, also dem Glauben daran, daß die Welt Sinn macht bzw. real ist.

Ganz ähnlich ist es mit dem Geld: „Geld richtet sich an den Einzelnen, aber es kann seine Funktionen nur erfüllen, wenn alle von seiner Glaubwürdigkeit überzeugt sind.“ (Braun 2/2012, S.7) – Wir haben es also mit einer Phantasie bzw. mit einem Bewußtseinsprodukt zu tun, ähnlich den Informationsphantomen bei Günther Anders. Und der Nihilismus in der Wertschöpfung des Geldes wird durch die Vermehrung von Nullen sinnfällig zum Ausdruck gebracht, wo eine schlichte 1 weniger gilt als eine 1 mit einer 0, – oder besser noch mit möglichst vielen Nullen. (Vgl. Braun 2/2012, S.19, 243-251)

Auch von Braun verbindet den Vergleich von Geld und Schrift mit einem Nihilismus, einer Schöpfung des Seins aus dem Nichts durch das Wort (Genesis) bzw. in der Mehrwertproduktion des Kapitals. (Vgl. Braun 2/2012, S.9) Und es ist die fehlende „Bodenhaftung“ (Braun 2/2012, S.8), die das rekursive System, den „‚Kreislauf‘ des Geldes“ (Braun 2/2012, S.9) so instabil macht: „Es ist ein Unterschied, ob Papiergeld auf ‚realen‘ Werten wie dem Grund und Boden der Katholischen Kirche besteht, wie das zunächst bei den Assignaten der Französischen Revolution war, oder auf der Hoffnung, dass ich eine Tulpenzwiebel (noch bevor sie in der Erde ist) zu einem höheren Preis verkaufen kann, als ich sie gekauft habe. Im einen Fall geht es um Anbindung des Geldes an ‚Realien‘, im anderen um die Hoffnung – und weil letzterer die Bodenhaftung fehlt, löst sie leicht Ängste aus.“ (Braun 2/2012, S.8)

Dieser auf Hoffnung und Sinngläubigkeit beruhende Nihilismus verbleibt aber nicht im Abstrakten bzw. Negativen: „Je abstrakter das Geld wurde, je mehr es sich in ein reines Zeichen verwandelte (auf dem Weg von der Münze über das Papiergeld bis zum elektronischen bit) –, desto größer wurde seine Wirkmacht über die ‚Realität‘.“ – Das abstrakte Geldphantom produziert nicht mehr nur neue Geldphantome, sondern inzwischen auch reale Körper, wie von Braun mit Verweis auf die „Reproduktionsmedizin“ festhält. (Vgl. hierzu auch meinen Post vom 08.03.2012) Hier zieht von Braun die Linie direkt zur christlichen Religion, in der das ‚Wort‘ in Gestalt Jesu ‚Fleisch‘ geworden ist. (Vgl. Braun 2/2012, S.11) Die Sinn von Sinn-Dynamik reicht also vom „ex nihilo“ der Genesis bis zur Inkarnation Jesu.

So verknüpft von Braun mit dem „Preis“ des Geldes zwei Logiken: die des Opfers und die der Inkarnation. (Vgl. Braun 2/2012, S.16) Gerät der Geldwert wie zuletzt 2008 in eine Krise, so müssen ‚Körper‘, sprich Menschen geopfert werden, um den Geldwert zu stabilisieren. D.h. viele Menschen müssen ihren Job und ihren Besitz verlieren, damit andere weiterhin vom Geld profitieren können. Das ist die Opferlogik. Die Inkarnationslogik beinhaltet: Um Geldwert zu schaffen, muß es sich ständig aufs Neue verwandeln, zum Beispiel in neue ‚Körper‘, wie es etwa in den neueren Medizintechniken geschieht.

Selten habe ich etwas Erhellenderes gelesen wie die Einleitung aus von Brauns Buch, und ich habe nicht damit gerechnet, meinen Verdacht hinsichtlich des impliziten Nihilismus der Sinnbedürftigkeit des Menschen und des dazugehörigen rekursiven Mechanismus in einer so eleganten Darstellungsform bestätigt zu finden.  

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