„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 7. Juni 2012

Rekursivität und Roboter

(Michael Tomasello, Warum wir kooperieren, Berlin 2010 (2008))

1. Methode
2. Rekursivität und institutionelle Realitäten
3. Rekursivität und Roboter
4. Mutualität versus Altruismus?

Wenn de Waal sich weigert, seine Schimpansen als ‚Männchen‘ und ‚Weibchen‘ zu klassifizieren, und sie stattdessen lieber als Frauen und Männer anspricht (vgl. meinen Post vom 06.06.2010), so eröffnet er damit einen rekursiven Raum, der ein Ich und  (mindestens ein) Du umfaßt. Er distanziert sich von der Perspektive der dritten Person – ohne sich ihr völlig zu verweigern –, wie sie Tomasello mit der Beobachterperspektive ins Spiel bringt und die statt des Ich und Du ein Ich und Er umfaßt. Allerdings will auch Tomasello hier nicht auf den unbeteiligten Blick des Wissenschaftlers auf seine Versuchsobjekte hinaus, sondern auf das überpersönliche ‚Wir‘ der Gruppenidentität. Diese Gruppenidentität hat aber selbst wiederum eine exklusive Dimension, wenn sie das ‚Ihr‘ der anderen Gruppen ausschließt und zum Objekt der Ablehnung macht. De Waal verweigert sich einer vergleichbaren anthropologischen ‚Wir‘-Logik, die dem ‚Wir‘ der Menschen ein ‚Ihr‘ der Schimpansen gegenüberstellt. Wenn er auch als Wissenschaftler eine Beobachterperspektive einnehmen muß, zollt er doch der Empfindungsfähigkeit der Schimpansen Respekt, indem er ihnen die Ansprache eines ‚Du‘ zugesteht.

Das führt mich zu einer Modifikation meiner Graphiken zur Rekursivität. (Vgl. meinen Post vom 14.04.2012) Dort hatte ich für die kommunikative Absicht keine eigene rekursive Ebene vorgesehen, weil ich sie als Teil des Sinns von Sinn (F) gesehen hatte. Den rekursiven Raum des Sinns von Sinn hatte ich wiederum mit dem sozialen Raum und seinen Strukturen und Prozessen gleichgesetzt. Nun aber scheint es mir sinnvoll zu sein, hier noch einmal zwischen der kommunikativen Absicht und dem sozialen Raum zu differenzieren, in der neuen Graphik visualisiert als (F) und (G). In dieser Graphik haben wir ein echtes wechselseitiges Ich und Du (die beiden Brennpunkte der Ellipse), eingebettet in den sozialen Raum (Ellipse), vorliegen.

  Die kommunikative Absicht (F) beinhaltet nun die wesentliche, anthropologische Differenz als Humanität. Wen oder was auch immer ich als ‚Du‘ anspreche, ist in diesen rekursiven Raum mit eingeschlossen. Und erst von hier her wird der rekursive Raum sozialer Institutionen möglich. Für diesen inklusiven Aspekt der kommunikativen Absicht, als Ansprache, steht de Waals Weigerung, seine Schimpansen als ‚Männchen‘ und ‚Weibchen‘ zu klassifizieren. So würden wir z.B. auch niemals auf die Idee kommen, eine Maschine anzusprechen. Wenn wir etwa eine Roboterhaushaltshilfe auffordern, uns ein Glas Wasser zu bringen, wären uns ihre ‚Gefühle‘ herzlich egal. (Vgl. meinen Post vom 14.08.2011) Beim Einschalten eines Computers würden wir ja auch nicht davon ausgehen, daß wir hier einen sozialen Akt initiieren. Auch der Roboter funktioniert nur oder er funktioniert eben  nicht. Wenn er uns kein Glas Wasser bringt, weigert er sich nicht, sondern er ist nur defekt.

In der Graphik habe ich das damit zum Ausdruck gebracht, daß beim menschlichen Part in dieser Mensch-Maschine-Interaktion nur dessen Wahrnehmungen (ich sehe den Roboter), seine Bedürfnisse (ich habe Durst) und sein Wissen (dieser Roboter ist eine Haushaltshilfe) aktiv sind, während seine Erinnerungen, Gefühle und kommunikativen Absichten keine Rolle spielen. Statt den Roboter anzusprechen, erteilt er ihm nur einen ‚Befehl‘. Bei dem maschinellen Part der Mensch-Maschine-Interaktion spielt nur die Wahrnehmung in Form einer Sensorik – und natürlich auch die Motorik, denn der Roboter muß mir das Glas Wasser ja bringen – und das Wissen in Form der Programmierung eine Rolle.

Darin unterscheidet sich diese Mensch-Maschine-Interaktion auch von den virtuellen Welten, wie ich sie in der Graphik vom 19.05.2012 dargestellt habe. In die virtuellen Welten von Abenteuerspielen projiziere ich alle meine eigenen rekursiven Bewußtseinsebenen hinein, obwohl ich es nur mit einer Programmierung ohne eigene Sensorik und Motorik zu tun habe. Und obwohl ich es beim Roboter mit einer automatischen Sensorik und Motorik zu tun habe, würde ich hier doch nie auf die Idee kommen, etwas von mir in ihn hinein zu projizieren, – es sei denn ich wäre sein selbstverliebter Konstrukteur oder es handelte sich um einen Haustierersatz (Roboterhund) oder vielleicht um einen Pflegeroboter, die eigens für die Projektion von sozialen Bedürfnissen konstruiert worden sind. Diese Sonderfälle sind aber kein Grund, für die Mensch-Maschine-Interaktion einen eigenen rekursiven Raum zu eröffnen.

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