„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 21. Mai 2011

Frans de Waal, Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können, München 2011 (2009)

1.    Forschungsmethoden
2.    Die Natur des Menschen
    a)    Merkmale, Ursprungsmythen und Prinzipien
    b)    Egoismus und Selbst
    c)    Die russische Puppe (Schichtenmodell)
3.    Haltung und Empathie
    a)    Verkörperte Kognition
    b)    Der zweiteilige Prozeß
    c)    Der Abschaltknopf
4.    Unbeteiligte Perspektivenübernahme
5.    Ko-Emergenz-Hypothese

In den bisherigen Posts zu Frans de Waal war schon öfter von der ‚Spiegelung‘ die Rede (vgl.de Waal 2011, S.163f., 239), mit der nicht etwa die sogenannte „Spiegelphase“ gemeint war – also der Zeitpunkt, an dem sich die Fähigkeit, sich im Spiegel zu erkennen (vgl.de Waal 2011, S.162f., 193ff.), entwickelt –, sondern die Verschmelzung vom Ich und dem Anderen zum Selbst. Auf diese Spiegelung würde übrigens auch Waldenfes’ „Zwischenleiblichkeit“ passen, allerdings ohne deren Verabsolutierung. Zur Spiegelung bzw. zur Verschmelzung gehört eben auch die Trennung als dem anderen Bestandteil eines zweiteiligen Prozesses. Im Grunde kennzeichnet die Spiegelphase genau den Moment in der menschlichen Ontogenese, von dem an wir zu dieser Trennung fähig sind. Diese Fähigkeit teilen wir mit einigen Tierarten, natürlich mit unseren ‚Vettern‘, den Menschenaffen, aber auch mit Cetacea (Delphinen und Walen), Elephanten und sogar mit einigen Vogelarten, insbesondere mit den Rabenvögeln und möglicherweise sogar noch mit anderen Tierarten. (Vgl.de Waal 2011, S.195)

Mit der Fähigkeit, sich selbst im Spiegel zu erkennen – nicht nur zu verstehen, daß das Spiegelbild kein fremdes Tier oder fremder Mensch ist (vgl.de Waal 2011, S.194f.), sondern sich aktiv für das eigene Erscheinungsbild im Spiegel zu interessieren –, gehen bestimmte kognitive und soziale Fähigkeiten einher, die nur höherentwickelte Arten besitzen. So wurde z.B. getestet, ab welchem Alter Kinder, die eine Person mit zerbrochenem Löffel und traurigem Gesicht vor einer Schüssel Quark sitzen sehen, ihnen ihren eigenen oder einen anderen Löffel als Ersatz anbieten: „Kinder, die prosozial gehandelt hatten, bestanden den (Spiegel-)Test, während die Kinder, die keinerlei Hilfe geleistet hatten, durchfielen.“ (de Waal 2011, S.163)

Diesen Zusammenhang von „Spiegel-Selbst-Erkennen“ und bestimmten kognitiven und sozialen Fähigkeiten bezeichnet de Waal als „Ko-Emergenz-Hypothese“: die eine Fähigkeit tritt nie ohne die anderen auf. (Vgl.de Waal 2011, S.162ff., 168f., 181f., 193f.)  Zu diesen Fähigkeiten gehören u.a. Schamgefühle, ein prägnantes Selbstbewußtsein und Als-ob-Spiele: „Etwa im gleichen Alter, in dem sie (Kinder mit zwei Jahren – DZ) den Rougetest bestehen, werden sie empfänglich für die Art, wie sie von anderen angesehen werden, zeigen Verlegenheit, benutzen Personalpronomen (‚Das ist meins!‘ und ‚Schau mich an‘) und entwickeln die Fähigkeit zum Als-ob-Spiel – kleine Szenen, die sie mit Puppen und anderem Spielzeug aufführen. Diese Entwicklungen stehen im Zusammenhang miteinander. Kinder, die den Rougetest bestehen, benutzen mehr persönliche Fürwörter und sind öfter bei Als-ob-Spielen zu beobachten.“ (de Waal 2011, S.162) – Es wundert kaum, daß zu diesen Fähigkeiten nicht zuletzt auch die „höher entwickelte Empathie“ gehört. (Vgl.de Waal 2011, S.163)

De Waals Ko-Emergenz-Hypothese geht von „Parallelen zwischen Ontogenese und Phylogenese“ aus: „... d.h., dass die gleichen Fähigkeiten, die sich zusammen in einem zweijährigen Kind entwickeln, sich auch bei manchen Tierarten zusammen herausgebildet haben.“ (de Waal 2011, S.165) – Eine vergleichbare Parallelisierung nahm z.B. Ernst Haeckel zwischen Phylogenese und Embryogenese an, daß nämlich Embryos in ihrer Entwicklung die Stammesgeschichte ihrer jeweiligen Art wiederholen. (Vgl.de Waal 2011, S.310 (Anm. 10))

Insgesamt sieht de Waal durch den Zusammenhang von Spiegel-Selbst-Erkennen und hochentwickelten kognitiven und sozialen Fähigkeiten seine These bestätigt, daß sich die menschliche Natur nicht prinzipiell von der Natur einiger Tierarten unterscheidet: „Die Ko-Emergenz-Hypothese liefert eine hübsche, schlüssige Geschichte, die Ontogenese, Phylogenese und Neurobiologie miteinander verbindet. Es ist keine Geschichte, die dem Menschen eine Sonderrolle reserviert, obwohl wir von allem mehr haben: mehr Empathie, mehr VEN-Zellen und mehr Selbstwahrnehmung.“ (de Waal 2011, S.182)

Ich finde es besonders bemerkenswert, daß mit dem Spiegel-Selbst-Erkennen auch erste Schamgefühle – de Waal spricht von „Verlegenheit“ – auftreten, und hier würde mich insbesondere interessieren, ob diese Schamgefühle auch bei den Tierarten beobachtet werden können, die mit uns die Fähigkeit zum Spiegel-Selbst-Erkennen teilen. (Vgl. hierzu meinen Post zu Günther Anders vom 23.01.2011)

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