„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 29. Oktober 2010

Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin/New York 1975 (1928)

1. Dingphänomene
2. Zwei Anmerkungen zu den Dingphänomenen (A & B)
3. Lebensphänomene: Pflanzen
4. Lebensphänomene: Tiere
5. Lebensphänomene: Menschen (A, B & C)
6. Entwicklungsphänomene (A & B)

Im folgenden möchte ich mit Hilfe von Plessner den Begriff der Entwicklung auf zwei verschiedenen Phänomenebenen differenzieren: der biologischen (A) und der kulturellen (B). Die Ebene der Persönlichkeitsentwicklung spare ich hier aus. Teilweise gehe ich darauf in meiner zweiten Anmerkung zu den Dingphänomenen ein. Es wären noch einige Ergänzungen zur ‚Natur‘ des Kindes aus der Perspektive von Rousseau möglich. Ich will mich hier aber mit dem Hinweis auf die zwei Lehrmeister der Natur und der Dinge begnügen, die das Kind vor allem aufgrund seiner Bedürftigkeit, von Rousseau mit der Polarität von Stärke und Schwäche zum Erziehungsprinzip erhoben – das Ziel der Erziehung des Kindes besteht in der Sicherstellung seines Überlebens –, auf dem Weg in eine glückliche Kindheit begleiten. Die Erziehung und der Unterricht bestehen in Rousseaus „Emile“ dann auch vor allem in der Begegnung und Auseinandersetzung mit Dingphänomenen.

Auch bei der biologischen und der kulturellen Phänomenebene haben wir es mit dem „Gesetz der Autonomie der Erscheinung“ zu tun. (Vgl.S.109) Erscheinungen lassen sich nicht einfach auf ihren „inneren Aufbau“ „aus Elektronen und Energie“ zurückführen. Was die Farbwahrnehmung betrifft, ist das schon immer offensichtlich gewesen und bis in die neuesten neurophysiologischen Forschungsergebnisse hinein bestätigt worden. Wenn wir also die Phänomene beschreiben und erklären wollen, dürfen wir ihre Erscheinungsweise von ihnen nicht abstrahieren. Zugleich gilt, daß die Phänomene zwar sinnliche und unsinnliche Erscheinungsweisen haben, daß die unsinnlichen Erscheinungsweisen aber nicht auf eine andere Wirklichkeit verweisen, sondern selbst Teil der phänomenalen, erscheinenden Wirklichkeit sind. Das heißt: auch die unsinnlichen Erscheinungsweisen der Gestalt, des Lebendigen bis hinauf zu kulturellen Phänomenen, sind Teil der von uns wahrgenommenen Welt: „Die Geheimnisse der Natur liegen nicht hinter ihr oder in ihr wie geheimer Text in Chiffren versteckt, sie liegen öffentlich zutage.“ (S.226)

Phänomene wollen also auf der Wirklichkeitsebene, wo wir sie vorfinden, ernstgenommen werden, – und zwar als Phänomene und nicht in bezug auf etwas hinter ihnen Verborgenes, seien es nun „Elektronen und Energien“ oder Ideen und Substanzen. Also müssen wir auch Entwicklungsphänomene ernstnehmen – Plessner spricht vom „Erscheinungscharakter des Entwicklungsprozesses“ (vgl.S.144) –, auch wenn sie sich über biologische und historische Zeiträume erstrecken und damit nicht als konkrete Individuen zur Erscheinung kommen, sondern als Arten, Gattungen und Typen. Biologische und historische Phänomene haben damit den Charakter von ‚Ideen‘, an denen sich biologische und historische Individuen zu orientieren scheinen und denen sie sich ähnlich zu machen versuchen. Solche Ideen wurden und werden gerne immer wieder als den konkreten Individuen zugrundeliegende Substanzen interpretiert. Bei den Ideen haben wir es aber tatsächlich wiederum nur mit Phänomenen zu tun, und zwar als Erscheinungs-Formen. Am Individuum, am konkreten Phänomen, nehmen wir eine ‚Form‘ war, eine Form, der es, im Vergleich mit anderen Individuen, mehr oder weniger genügt. Eine Form, der viele Individuen zugeordnet werden können, bezeichnet Plessner als Typus. (Vgl.S.137)

Ideen im Sinne von Arten, Gattungen und Typen „bilden eine diskontinuierliche Mannigfaltigkeit“. (Vgl.S.235f.) Sie formulieren keine Entwicklungsgesetze, aus denen man z.B. in Form von Geschichtsphilosophien kontinuierliche Entwicklungsprozesse ableiten und für die Zukunft prognoszieren kann. Ideen formulieren vielmehr „Spielräume“ für „den Charakter des im Individuum verwirklichten ausgeprägten Typus oder der geprägten Form, der Gestalt im Spielraum der Gestaltidee.“ (S.137)

A) Galt das bisher Gesagte für beide uns hier interessierenden Entwicklungsphänomene, so wollen wir nun zunächst auf die biologischen Entwicklungsphänomene eingehen. Hier haben wir es mit konkreten Phänomenen, mit „Einzelwesen“ zu tun, denen biologisch evolvierte Gestaltideen vorgegeben sind. Dabei bildet das Verhältnis von Form und Einzelwesen eine „nicht ausgenutzte Fülle der Möglichkeiten, die das Einzelwesen durch den Gang gerade seiner Entwicklung versäumen mußte, die aber doch in ihrer Nichtausgenütztheit, in ihrer beständigen Erfüllbarkeit besteht“ (vgl.S.215). So definiert die biologische Evolution zwar „Notwendigkeiten“, aber „der faktisch eingeschlagene Weg muß notwendig zufällig sein.“ (Vgl.S.215) – Damit deutet Plessner auch eine Wechselseitigkeit von vorgegebenem Typus und konkreter Individualität an, denn mit dem Ausnutzen seines Entwicklungsspielraums trägt das einzelne Individuum wiederum zur Ausformung neuer Typen bei.

Der biologisch evolvierte Typus gibt nun nicht nur den Spielraum vor, in dem das Individuum sich verwirklichen kann, sondern der Typus bildet zugleich eine Grundvoraussetzung individueller Gestalthaftigkeit, so daß uns das Individuum als wiedererkennbares Selbes, als identisches Ding sichtbar werden kann. Denn obwohl es sich entwickelt, also sich als Individuum erst verwirklichen muß, bleibt es in allen seinen Phasen sich selbst ähnlich: „Das Werden bestimmt sich als das Werden eines Etwas (des Beharrenden) in dem Modus, daß das Beharren das Werden ‚trägt‘, oder das Beharren bestimmt sich als das Etwas eines Werdens, wobei das Werden das Beharren trägt. Jede Bestimmungsform ist ein Moment dessen, was Prozeß heißt.“ (S.134) – Der Typus gibt also nicht nur einen Spielraum, eine Orientierung vor, auf den bzw. auf die hin sich das Individuum verwirklichen kann, sondern er bildet zugleich ein beharrendes „Etwas“, das durch alle Phasen der Entwicklung als dasselbe durchscheint. So wird Entwicklung zu einem „Prozeß ... von der Art, daß es das Jetzt nicht mehr als leeres Zwischen den Modis des Nichtseins, des Noch nicht und des Nicht mehr, d.h. als Limes des Übergehens, sondern als durchgehaltene Konstante des Übergehens enthält.“ (S.134)

Insofern nun das konkrete Individuum seine Form verwirklicht, hat auch der biologische Entwicklungsprozeß an dem Grundprinzip der Expressivität teil, wobei allerdings weder die biologische Evolution noch der einzelne Organismus als selbstbewußte Intentionalitäten auftreten. Die Analogie besteht darin, daß die Verwirklichung des Formtypus – wegen des Spielraums – nie vollständig gelingt. Das zu sich selbst Kommen des konkreten Individuums im verwirklichten Formtypus eröffnet eine Diskrepanz zwischen dem „Ausgangsetwas“ und dem „Endetwas“. Diese Diskrepanz beinhaltet, daß das Individuum in seiner Entwicklung in etwas anderem als es selbst zu sich kommt: „Die Synthese findet als eine besonders gerichtete Form des modus procedendi statt: als Entwicklung. In ihr wird erst das, was schon ist, ohne daß das Werden sich in ein bloßes zum Sein Kommen verwandelt. Und zugleich bleibt es das, was es ist, indem es anders wird.“ (S.140) – Plessner hält angesichts dieser Entwicklungsstruktur lapidar fest, daß sich die Phänomenologie bei der Beschreibung der Entwicklungsphänomene in eine Dialektik verwandelt. (Vgl.S.115)

Für das konkrete Individuum selbst nimmt der Formtypus wiederum den Charakter der „Zweckursache“ an: „Die Evolution ist die notwendige Seinsweise des in der Sukzession des Prozesses ihm selber vorwegseienden Körpers. Infolgedessen gehört es zu seinem inneren Wesen, erscheinungsmäßig zweckverursacht zu sein, ohne jedoch sein Dasein (mitsamt seinem Wesen) von ihm getrennten Zweckursachen, d.h dem System des sich entwickelnden Körpers selbst nicht angehörenden Bedingungen zu verdanken.“ (S.145) – Die Zweckursachen bilden demnach, getreu dem Gesetz der Autonomie der Erscheinung, keine eigene, von den in ihnen sich verwirklichenden Organismen unabhängige Wirklichkeitsebene.

Insofern also das Individuum sich selbst im Formtypus vorweg ist, sich auf seinen Formtypus hin erst noch verwirklichen muß und dabei in der Ausnutzung des Spielraums die vorgegebene Form notwendig verfehlt, nimmt die biologische Evolution den Charakter eines Ausdrucksprozesses an, so daß man sagen kann, daß die Formtypen in der Evolution der biologischen Organismen zum ‚Ausdruck‘ kommen. Das ‚Subjekt‘ dieser Expressivitätsstruktur besteht allerdings lediglich in der zeithaften Struktur des im sich selbst vorweg Sein des lebendigen Organismusses begründeten Noch-nicht der Formidee und in der mit ihrer Verwirklichung einhergehenden Verschiedenheit von Ausgangsetwas und Endetwas. Unabhängig von diesem Entwicklungsprozeß als ‚Selbst‘-Verwirklichung hat die damit verbundene Zweckursächlichkeit der Formidee keine eigene Realität: „Abgelöst von dem Individuum ... bleibt die Finalität der (freilich vom raumzeitlich Realen ablösbaren) Formstufen ganz problematisch; das Leben gerät nur unter sie und nur bei Gelegenheit seines Werdens werden auch sie.“ (S.214)

B) Wenn wir mit Plessner sowohl von biologischen als auch von kulturellen Entwicklungsphänomenen als von „Lebensphänomenen“ sprechen wollen – Plessner bezeichnet die „Mitwelt“, also Geist und Kultur, als „Lebendigkeit und zwar in ihrer höchsten, der exzentrischen Form“ (vgl.S.302) –, so ist es interessant, daß sie sich auch die Struktur der Expressivität teilen, wobei nur mit der Expressivität der kulturellen Entwicklungsphänomene auch Subjekte im eigentlichen Sinne verbunden sind: die Personen, die sich in den kulturellen Phänomenen ausdrücken und verwirklichen. Die Kultur bzw. der Geist bilden die aufgrund seiner exzentrischen Positionalität dem Menschen notwendige Ergänzung bzw. Vervollständigung seines ‚Wesens‘: „Weil dem Menschen durch seinen Existenztyp aufgezwungen ist, das Leben zu führen, welches er lebt, d.h. zu machen, was er ist, – eben weil er nur ist, wenn er vollzieht – braucht er ein Komplement nichtnatürlicher, nichtgewachsener Art. Darum ist er von Natur, aus Gründen seiner Existenzform künstlich. Als exzentrisches Wesen nicht im Gleichgewicht, ortlos, zeitlos im Nichts stehend, konstitutiv heimatlos, muß er ‚etwas werden‘ und sich das Gleichgewicht – schaffen. Und er schafft es nur mit Hilfe der außernatürlichen Dinge, die aus seinem Schaffen entspringen, wenn die Ergebnisse dieses schöpferischen Machens ein eigenes Gewicht bekommen.“ (S.310)

Die „konstitutive Gleichgewichtslosigkeit“ des Menschen ist also „der ‚Anlaß‘ zur Kultur.“ (S.316) Und die Kultur selbst wiederum ist notwendigerweise eine historische, so sehr, daß Geschichte nur ihre andere Seite ist, – denn Geschichte ist, so Plessner, „nur die ausgeführte Weise ..., in der er [der Mensch – DZ] über sich nachsinnt und von sich weiß.“ (S.31) Deshalb sprechen wir hier von kulturellen Entwicklungsphänomenen, um damit auf den Gleichklang von Kultur und Geschichte zu verweisen.

Wäre der Mensch sich nur in der Gegenwärtigkeit seiner Bedürftigkeit gegeben, in der er sich „zwischen Intention und Erfüllung“ abmüht, so wären ihm, „solange er im Bestreben begriffen die Erfüllung erreicht und festhält“, Form und Inhalt ununterscheidbar miteinander verschmolzen: „Erst am gelungenen Werk, an der realisierten Gebärde und Rede merken wir den Unterschied. Realisiert bricht es auch schon in das Was und das Wie auseinander. Die Diskrepanz zwischen dem Erreichten und Erstrebten ist Ereignis geworden.“ (Vgl.S.338)

Wird sich der Mensch also erst über das Ungenügen am schon Erreichten der Ausdruckshaftigkeit seines Handelns bewußt, so spiegelt ihm die Geschichte als diskontinuierlicher, weil notwendigerweise im Ungenügen des jeweils Erreichten immer wieder abbrechender, neu ansetzender und so kulturelle Hegemonien aufbrechender Lebensprozeß seine Lebenwirklichkeit wider: „Durch seine Expressivität ist er also ein Wesen, das selbst bei kontinuierlich sich erhaltender Intention nach immer anderer Verwirklichung drängt und so eine Geschichte hinter sich zurückläßt.“ – Indem er „Geschichte hinter sich zurückläßt“, ist der Mensch also eher ein auf kulturellen Ausdruck hinstrebendes, als ein Kultur tradierendes Wesen.

Als Kultur lediglich tradierendes Wesen wäre der Mensch noch nicht in der Geschichtlichkeit seines Wesens angekommen. Kultur als sich selbst stabilisierendes System, z.B. in Form einer Lebenswelt, ließe Geschichte nur als zyklischen Prozeß zu. Insofern kulturelle Prozesse selbst gestalthaft sind, also im (diskontinuierlichen) Geschichtsprozeß etwas Beharrendes wahrnehmbar wird, trifft das auch zu. Aber als ‚Ausdruck‘ menschlichen Strebens – und in dieser Expressivität geradezu das Gegenteil aller lebensweltlichen Erstarrung – kommt die kulturelle Entwicklung in Gang, in der der Mensch „gewissermaßen die Mitte [hält] zwischen den beiden Möglichkeiten eines Prozesses, dessen Sinn im Fortschritt zur nächsten Etappe besteht, und eines Kreisprozesses, der dem absoluten Stillstand äquivalent ist. ... Ihn [den Menschen – DZ] stößt das Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit ewig aus der Ruhelage, in die er wieder zurückkehren will. Aus dieser Grundbewegung ergibt sich die Geschichte. Ihr Sinn ist die Wiedererlangung des Gleichgewichts durch grundstürzende Änderung, Bewahrung des Alten durch Wendung nach vorwärts.“ (S.339)

Liegt also anders als bei der biologischen Entwicklung der kulturellen Entwicklung keine Formidee zugrunde (der „Sinn der Geschichte“ stellt kein „ihr vorschwebende(s) Ziel“ dar, „welchem sie entgegeneilt“ (vgl.S.339)), so haben wir doch auch hier einen der Diskrepanz zwischen dem Formtypus und ihrer Verwirklichung im individuellen Organismus ähnlichen Bruch zwischen Ziel- und Endpunkt, zwischen Intention und Realisierung. (Vgl.S.337f.) ‚Träger‘ der Ausdrucksbewegung ist also keine als Zweckursache auftretende Formidee, wie in der biologischen Entwicklung, sondern der sich im Medium brechende Intentionsstrahl eines planenden und vorstellenden Subjekts. (Vgl.S.336ff.)

Dabei ist trotz aller planenden Aktivität der intendierenden Subjekte die Erfüllung wesentlich vom angezielten Objekt abhängig, so sehr, daß von „echter Erfüllung“ nur dort die Rede sein kann, wo die Erfüllung aufgrund der Widerständigkeit der Medien und Objekte auch ausbleiben kann. (Vgl.S.336) Verwirklichte Form besteht hier deshalb nicht in der unmittelbaren Erfüllung unserer Intentionen im Objekt, sondern in der auftretenden Differenz. ‚Form‘ ist also – enger gefaßt – nichts anderes als die Differenz zwischen Gemeintem und Gesagtem, so daß für den Menschen gilt, daß wir es in diesem Bruch nicht mehr einfach nur mit einem ‚Spielraum‘ vorgegebener Gestaltideen zu tun haben. Wir müssen vielmehr diesen Bruch zwischen Ziel- und Endpunkt unseres Handelns, zwischen Gemeintem und Gesagtem unseres Redens geradezu als sinnstiftende Voraussetzung für die menschliche Expressivität verstehen: „Die Einheit der Intention hält sich nur in der Zersplitterung in verschiedene Idiome. Und man darf den Satz wagen, daß alles Suchen nach einer Ursprache nicht nur aus empirischen Gründen zur Erfolglosigkeit verurteilt ist. Es beweist Unkenntnis des Gesetzes der Konkretion und Objektivierung des Geistes, welche erst dann die über alle beschränkende Form hinausliegende Intention durchsetzt, wenn ihr durch den Prozeß der Objektivierung eine Form (und zwar eine an sich nicht notwendige) ‚zufällt‘. Realisierung und Erfüllung einer Intention heißt Brechung ihres Strahls in einem ihr fremden Medium.“ (S.340)

Download

15 Kommentare:

  1. Vielleich ist das mit dem "Steinzeit-Philosophen" nicht so schlecht. Ich versuche gerade, die oben angesprochene Idee auf eine Steinzeitgruppe anzuwenden. Angewendet auf unsere Zeit, sind zu viele Gegenströmungen vorhanden, sodaß eine reine Idee schlecht zu verifizieren ist.
    Weiteres folgt....

    AntwortenLöschen
  2. Ich wollte schon nachfragen, ob du meine Kommentare mitbekommst im Sinne der Benachrichtigungen. Und nun das!
    Ich wähle die Steinzeitgruppe, weil dort die gewaltbereite, ausbeutende und unterdückende Machtdurchsetzung vielleicht noch nicht so beheimatet war. Das Bild der exentrischen Position des Menschen wird durch eben diese auf jeden Fall erzeugt.
    Würdest du dein Bild des exentrisch positionierten Menschen auf eine Steinzeitgruppe 1 zu 1 aufrechterhalten, soweit man sich eine Steinzeitgruppe vorstellen kann?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich selbst bekomme direkt Informationen auf neue Kommentare. Ich würde auch gerne für die Blogleser so einen Überblick für Kommentare einrichten, weiß aber nicht, wie das geht.
      Was die "Steinzeitgruppe" betrifft, weiß ich nicht, auf welche Textstelle Du Dich beziehst. Es gibt einen Post zu Leroi-Gourhan (http://erkenntnisethik.blogspot.de/2013/03/andre-leroi-gourhan-hand-und-wort-die_24.html), wo ich dessen These diskutiere, daß das Paläolithikum eine für den Forscher besonders interessante Entwicklungsphase ist, weil dort die kulturellen Momente besonders 'rein', also ungestört von wechselseitiger Beeinflussung (und Störungen) vorliegen. Leroi-Gourhan spricht nicht von Exzentrizität, sondern von Exteriorisierung, was aber beides eng zusammenhängt. Ihm zufolge exteriorisieren die Menschen im Laufe ihrer Entwicklung ihre Fähigkeiten einschließlich ihrer Intelligenz immer mehr. Das Ergebnis dieses Exteriorisierungsprozesses sind die heutigen elektronischen Medien. Begonnen hat das ganze in der Steinzeit mit Faustkeil, Wurfspeer und den Höhlenmalereien.
      Das 'Bild' des exzentrisch positionieren Menschen gilt also von Anfang an.

      Löschen
  3. Ich schieb noch schnell etwas nach. Ich dachte heut nacht an die Schöpfungsmyhten und wieso sie zur gelaubten Wahrheit wurden und insofern zur Tatsächlichkeit. Nietsches "Irrtum ist überlebenswichtig". So kann man die gesamte Geschichte sehen, ein Hangel von einem Irrtum zum anderen, bis heute. Das soziale Moment erscheint mir dabei zentraler Natur zu sein.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das soziale Moment ist narrativ strukturiert, wie schon Dein Hinweis auf die Schöpfungsmythen zeigt. Tomasello spricht hier von einer extravaganten Syntax, die von Rekursivität bestimmt ist. Das Erzählen von Mythen und das Zuhören stiftet gemeinschaftlichen Sinn, der die Basis für rekursives Verstehen bildet: ich weiß, daß Du weißt, daß ich weiß usw. Rekursivität ist kognitiv auf vier bis fünf Ebenen beschränkt. Wir können nicht infinit voneinander wissen, was wir voneinander wissen. Die extravagante Syntax ermöglicht es uns, diese Begrenzung zu überschreiten. Die narrative Phantasie ist rekursiv unbekgrenzt.

      Löschen
  4. Ich wollte noch vorausschicken, dass ich keine durchdachte Theorie habe. Sondern eben nur Ideen, auf die ich erst wieder kommen muß, weil sie jahrzehntelang schlummerten.
    Die späteren Schöpfungsmythen waren erst Erzählungen, so wie bei uns die Märchen. Und irgendwann später jedoch waren sie Realität (Beginn des Religiösen).
    Es war wahrscheinlich unausweichlich, so wie die gesamte Geschichte vom Prinzip her. Die Frage ist heute, wie weit das noch gehen muß? Oder meinst du nicht, dass das Exentrische wieder zur Mitte kommen muss, als ob wir einen riesigen Umweg gehen mussten?

    PS: Ich finde auf deinen Blog kein "Follow per E-Mail". Deswegen muss ich konkret nachschauen, ob sich was getan hat. Dann hat man alle Bewegungen auf deinem Blog im Posteingang (Post und Kommentare)
    Unter dem Gadget "Diesen Blog durchsuchen" steht immer "wird geladen", aber es tut sich nichts und das Gadget "Follower" ist völlig allein. Ausser du hast gar keinen.

    AntwortenLöschen
  5. Ich nehme das PS zurück. Falsche Einstellungen bei mir.

    AntwortenLöschen
  6. Prima! Willkommen bei meinen Followern! Ehrlich gesagt sind mir alle diese Blog-Interna wie „Follower“ usw. noch immer ziemlich rätselhaft. Manches funktioniert und manches nicht. Um diese Technik vollständig zu durchschauen, müßte ich mich mehr darauf einlassen. Das würde aber auf eine weitergehende Digitalisierung meines Lebens hinauslaufen, wogegen ich mich sträube. In meinem real life besitze ich noch nicht mal ein Handy.

    Das ist schon ein bißchen eine Antwort auf Deine Frage, ob das Exzentrische nicht wieder zur Mitte zurückfinden müßte. Da gebe ich Dir hundertprozentig recht. Das ist nicht nur eine Frage der ‚Bildung‘, in dem Sinne, daß alle Menschen auf der Suche nach ihrer Mitte sind. Das ist auch anthropologisch notwendig: die globalisierte Menschheit muß die Erde wieder als ihre Mitte begreifen. ‚Mitte‘ meint hier vor allem ‚Nachhaltigkeit‘. Anstatt die innere Leere mit immer mehr Gift und Technologie vollzustopfen, müssen wir die Fähigkeit, zu leben und zu überleben, die wir als Technik exteriorisiert haben, wieder interiorisieren, d.h. wieder zueigen machen.

    Ich weiß nicht genau, wie Du das meinst, daß die Schöpfungsmythen ursprünglich Erzählungen waren und dann zur Realität wurden. Aber ich vermute, daß Du das so meint, wie ich das oft bei Fantasy-Romanen erlebe, z.B. im Harry Potter. Wenn dort Zaubereien und magische Wunderdinge beschrieben werden, denke ich immer, das gibt’s doch schon längst. Da ist gar nichts Phantastisches dran. Das ist alles schon technisch realisiert.

    AntwortenLöschen
  7. Bei mir heißt das, dass auf meinem Computer die privaten Daten (Adresse, Telefonnumer, Bankkonto, Profilportrait) nicht gespeichert sind.
    Schöpfungsmythen: Es wird eine Realität behauptet und später sogar sozial durchgesetzt, zu der es keinerlei Möglichkeit einer Nachprüfung jedweder Art gibt. Das soziale Moment verbrannte irgendwann Menschen dafür. Ich will dabei nicht direkt auf Gott hinaus. Aber am Beginn waren es nur kreative Erzählungen, so etwas wie die Märchen in unserer Zeit, an die nicht geglaubt wurde. Kreative Erzählungen für Kinder vielleicht, wegen ihrer Fragen. Dieser Bereich, in der geglaubt wird, ist grenzenlos.
    Die ersten Hochkulturen waren religiös angetrieben und nicht durch die gewaltbereite Macht, denke ich.

    AntwortenLöschen
  8. Wenn Du davon sprichst, daß die ersten „Hochkulturen“ noch nicht durch gewaltbereite Macht angetrieben waren, klingt das in meinen Ohren wie ein Oxymoron, also wie ‚hölzernes Eisen‘. ‚Gewaltlose Hochkulturen‘? In die Höhe wachsen konnten diese Hochkulturen nur mit Hilfe der Gewalt! Dafür steht u.a. der Turmbau zu Babel. Bei den Ägyptern sind es die Pyramiden. Ohne Gewalt gab es keine Hochkulturen. Und ein wesentliches Hilfsmittel dieser Gewalt war die Schrift.

    Mit der irregeleiteten Realisierung von Schöpfungsmythen sprichst Du etwas überaus Wichtiges an. Nicht gerade ein Schöpfungsmythos, aber auch ein Mythos, ist z.B. die Geschichte vom Schlaraffenland. Das war mal eine schöne Phantasie und hat den menschlichen Geist auf produktive Weise beschäftigt. Aber nur so lange, wie sie nicht realisiert wurde. Inzwischen sind wir auf dem technologischen Stand, das Schlaraffenland zu realisieren, zumindestens für einige wenige Privilegierte. Das Ergebnis ist die drohende Auslöschung der Menschheit, was aus der Perspektive der übrigen ‚Welt‘, der Umwelt bzw. der Natur, kein Verlust wäre.

    Du sprichst aber auch von der religiösen Dimension. Ich unterscheide hier zwischen zwei verschiedenen Dimensionen der Religion: die unsichtbare Religion (J. Assmann) und Religion als Unterbrechung (u.a. J.B.Metz). Die unsichtbare Religion ist jene Art von Mythos, die Du als nicht nachprüfbar bezeichnest. Sie ist nicht nachprüfbar, weil sie unsichtbar ist, d.h. wir glauben an sie, ohne zu wissen, daß wir an sie glauben. Blumenberg bezeichnet das auch als Lebenswelt. Die Religion als Unterbrechung unterbricht dieses Immer-so-weiter der unsichtbaren Religion und öffnet uns die Augen. Sie macht uns sehend. Bei einem meiner Lieblings-Zen-Buddhisten, Keiji Nishitani, reicht dazu übrigens auch ein kräftiges Niesen. Danach sind wir dann hellwach.

    AntwortenLöschen
  9. Der von mir gemeinte Antrieb durch die Religion in den Anfangszeiten der Hochkultur, zum Beispiel Sumer (Ur), bezog sich auf die Überzeugungskraft für die hochkulturelle Organisation. In dieser Zeit gab es meines Wissens noch keine Schrift. Im Allgemeinen gehe ich allerdings auch von der Macht aus. Etwas, was ich "historisches Diktat" nenne.

    AntwortenLöschen
  10. Die lebensweltliche Bedeutung der Religion („Überzeugungskraft“) für die Legitimität einer Hochkultur ist unbestreitbar; ebenso die Rolle der Schrift in der Verwaltung eines zentral regierten Staates. Wenn ich das richtig verstanden habe, bildet die im Laufe des sumerischen Staatsbildungsprozesses entstehende Keilschrift eine Rationalisierung der Bilderschrift, sozusagen als Übergang von einer dreidimensionalen Bilderschrift zu einer linearen Buchstabenschrift.

    Danke, daß Du mir das „Oxymoron“ in meiner letzten Antwort auf Deine Kommentare nicht übelnimmst. Im Eifer der Diskussion verliere ich gelegentlich das Gespür für den Klang der Worte.

    AntwortenLöschen
  11. Wo habe ich es gesagt? Der Begriff "historisches Diktat" bezüglich der Gewalt. Es erzwang unsere Geschichte, einschließlich unseres Umgangs mit der Technik. Dauernd sehe ich diese Exzentrik mit der Macht (Gewalt) verwoben und diese erzwang die Exzentrik aller. Als ob nur wenige tatsächlich exzentrisch waren und aus "Verzweiflung" zur Gewalt griffen und so die ganze Menschheit in die Exzentrik warfen. Du müßtest zwei Worte für diesen theoretischen Begriff haben. Ich will den Begriff ja nicht verwerfen.

    AntwortenLöschen
  12. Mein historischer Begriff für die Exzentrik ist Anachronismus.

    AntwortenLöschen