„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin/New York 1975 (1928)

1. Dingphänomene
2. Zwei Anmerkungen zu den Dingphänomenen (A & B)
3. Lebensphänomene: Pflanzen
4. Lebensphänomene: Tiere
5. Lebensphänomene: Menschen (A, B & C)
6. Entwicklungsphänomene

A) Zwei Aspekte machen die Dingphänomene in besonderer Weise interessant: der eine Aspekt betrifft den Tier-Menschvergleich, also die Phylogenese des menschlichen Bewußtseins; der andere Aspekt betrifft die Funktion des Dingphänomens für die Entwicklung des individuellen menschlichen Bewußtseins, also für seine Ontogenese. Was den Tier-Menschvergleich betrifft, geht es uns im folgenden nicht um die neuesten Erkenntnisse der Verhaltens- oder Genomforschung, da Plessners 1928 erschienenes Buch seitdem nicht aktualisiert worden ist. Vielmehr geht es uns um einige angesichts einiger interessanter Daten sich unvermeidbar aufdrängende Fragen, die das Potential haben, unser Bild des Menschen zu bereichern. Nebenbei können uns diese schon 1928 aufgeworfenen (und, wie Plessner 1975 befand, nach wie vor unabgegoltenen) Fragen darüber belehren, wie sträflich es ist, völlig unbeeinflußt von wissenschaftshistorisch gut belegten Einsichten neueste neurophysiologische Forschungs-‚Erkenntnisse‘ zu verkünden.

Hinsichtlich des ersten Aspekts stellt sich uns die vielleicht etwas seltsam anmutende Frage, wieso wir überhaupt ‚Dinge‘ wahrnehmen, d.h. warum das menschliche Bewußtsein so strukturiert ist, daß es Dinge wahrnimmt und nicht irgendetwas anderes. So weiß man z.B. von bestimmten Tierarten, daß ihre Wahrnehmung „komplexqualitativ“ funktioniert und nicht dinglich. (Vgl.z.B.S.263f.) Sie nehmen ‚Komplexe‘ wahr – auf den Menschen bezogen würden wir von ‚Situationen‘ sprechen – und nicht einzelne Gegenstände. Das äußert sich bei Tauben so, daß sie ihre Nester nicht mehr wiederfinden, wenn diese nur um wenige Zentimeter versetzt werden: es hat sich nun der ganze Wahrnehmungskomplex verändert, und in diesem Rahmen ist ihr Nest nicht mehr ihr Nest. Bei einigen Spinnenarten beobachtet man, daß sie ihre Beutetiere außerhalb des Fangnetzes nicht mehr als Beutetiere wahrnehmen und z.B. vor Fliegen sogar flüchten, wenn sie ihnen begegnen. Diese Unfähigkeit, einzelne Dinge außerhalb des ihnen auf welche Weise auch immer ‚zugehörigen‘ Rahmens wiederzuerkennen, verweist auf eine spezifische Wahrnehmungsstruktur von Tieren.

Sie findet sich auch bei höheren Tieren wie z.B. Schimpansen, obwohl bei ihnen die Fähigkeit, einzelne Dinge individuell wiederzuerkennen schon stark ausgeprägt ist. Dennoch zeigen sie bei aller sonstigen Intelligenz, die sie bei Problemlösungen an den Tag legen, signifikante „Versager“, die manche Verhaltensforscher als „Gestaltschwäche“ auslegen (vgl.S.268ff.): Sie sind z.B. nicht in der Lage, zur Lösung von Problemen bei der Futtersuche Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Damit verbunden ist die andere Beobachtung, daß sie eng an die Wand gestellte Kisten nicht mehr als Kisten wahrnehmen, die sie sonst, wenn sie isoliert im Raum herumliegen, durchaus intelligent als Werkzeuge zur Erreichung von Futter einzusetzen verstehen.

Plessner spricht hier deshalb nicht von einer „Gestaltschwäche“ der Schimpansen, sondern von ihrem fehlenden „Sinn für’s Negative“. (Vgl.S.270) Um die komplexqualitative Ebene der Wahrnehmung zu verlassen und die Ebene echter, unabhängiger Dingwahrnehmung zu erreichen, müssen Tiere in der Lage sein, Dinge wegzudenken. Erst so gelangt die Fähigkeit, auch Abwesendes in die Wahrnehmung miteinzubeziehen (wozu ja auch Schimpansen durchaus fähig sind), zur Vollendung. Und nur, wo das Wegdenken von gegenwärtigen Dingen und das Hinzudenken von abwesenden Dingen in der Wahrnehmung kombiniert wird, liegt echte Dingwahrnehmung vor. Denn nur wenn wir aus komplexqualitativen Wahrnehmungszusammenhängen Dinge wegdenken, können sie in den Hintergrund treten, und andere Dinge können in den Vordergrund treten, so daß sie zu konkreten Dingobjekten unserer fokussierten Aufmerksamkeit werden. So können Schimpansen die Kiste nicht von der Wand, an der sie steht, ‚wegdenken‘; die Kiste kann ihnen nicht als von der Wand isolierbarer Gegenstand gegenübertreten. Und sie können ihr auch keine Rückseiten anmuten, nicht einmal probeweise, denn diese sind ja doppelt verborgen: ‚hinter‘ den Vorderseiten und vor der Wand, die mit der Rückseite der Kiste regelrecht verschmilzt.

So sagt also die Dingwahrnehmung etwas Wesentliches über das menschliche Bewußtsein aus: eins seiner wichtigsten Momente, die Negation, ist nicht erst ein hochspezifisches Merkmal begrifflichen Denkens, sondern schon ein Grundprinzip der menschlichen Wahrnehmung.

B) Nun kommen wir zu dem zweiten, die Ontogenese des Bewußtseins betreffenden Aspekt: die Differenz (Plessner spricht von „Doppelaspektivität“) von ‚Leib‘ und ‚Körper‘ und ihre Funktion für die Dingwahrnehmung sowie die Funktion, die wiederum die Dingwahrnehmung für die – ontogenetische – Bewußtseinsentwicklung insgesamt hat. In phylogenetischer Perspektive ist Plessner zufolge die Leib/Körperdifferenz ein Nebeneffekt der zentralistischen Organisationsform der höheren Tiere. (Vgl.S.250 u.ö.) Aufgrund der Herausbildung eines nervösen Zentralorgans kommt es zu einer Gegenüberstellung der arbeitsteiligen Organfunktionen des Körpers auf der einen Seite und des Gehirns auf der anderen Seite: „Dadurch [durch die „zentrale() Repräsentation des Organismus – DZ] ist der lebendige Organismus als Ganzer nicht mehr unmittelbar die (in ihr selbst natürlich vermittelte!) Einheit der Organe, sondern er ist sie nur auf dem Wege über das Zentrum. Er steht also nicht mehr direkt mit dem Medium und den Dingen um ihn herum in Kontakt, sondern lediglich mittels seines Körpers. Der Körper ist die Zwischenschicht zwischen dem Lebendigen und dem Medium geworden.“ (S.230)

Diese physiologische Arbeitsteilung bildet die Grundlage für die Herausbildung eines Bewußtseins und im weiteren für die Herausbildung eines Selbstbewußtseins als wesentlichem Moment der höchsten, nicht mehr überbietbaren Form der organischen Stufenleiter: dem Menschen. Schon beim Tier hat das dem Körper gegenübergestellte Gehirn – wie im letzten Zitat angesprochen – nun die Funktion, den Körper in Form eines Körpermodells zu repräsentieren. Hier entsteht die Leib/Körperdifferenz: einerseits befindet sich das Gehirn im Körper, als ein Organ unter anderen, zum anderen hat es (in Form eines neurophysiologisch organisierten Modells) seinen Körper, als Leib. So entsteht ein doppelseitiges Abhängigkeitsverhältnis: eine Abhängigkeit des Leibes vom Gehirn, das sein Modell kontrolliert, und eine Unabhängigkeit des Körpers vom Gehirn, das sich in seinem Körper befindet und also wiederum von diesem abhängig ist. (Vgl.S.230f.) Die Abhängigkeit des Leibes vom Gehirn läßt sich umgangssprachlich so formulieren, daß das Bewußtsein seinen Leib hat.

Denn ab diesem Punkt muß man – so Plessner – tatsächlich von einem „Bewußtsein“ reden, das zwar auf der Ebene des Tieres noch nicht von sich weiß, das aber in Form des Leibes zum erstenmal seinem Körper gegenübertritt und eine Doppelaspektivität aus gleichzeitigem Leib- und Körpersein beinhaltet. Im Grunde ist das Wort ‚Bewußt-Sein‘ irreführend. Das Bewußtsein ist nicht etwas schlicht Vorhandenes und Beharrendes. Es ist in erster Linie ein „Vollzug“. (Vgl.S.290 u.ö.), und zwar, wie ich ergänzend hinzufügen möchte, ein Vollzug in der Weise des Habens. (Vgl.S.237f.u.ö.) Es wäre also präziser, statt von ‚Bewußtsein‘ von Bewußt-Habe zu sprechen, – und damit kommen wir jetzt zu der eingangs gestellten Frage nach der Funktion der Leib/Körperdifferenz für die Dingwahrnehmung und nach der Funktion der Dingwahrnehmung für die Bewußtseinsentwicklung.

Plessner selbst spricht von einer „Koexistenz“ zwischen der Leibsphäre und der Dingsphäre, von einem „primäre(n) Einklang und gleichursprüngliche(n) Übereinkommen zwischen von einander getrennten Sphären“ (vgl.S.259), also letztlich von einer – vor allem strukturellen – Harmonie zwischen Innenwelt und Außenwelt. Worin ist diese Harmonie begründet? Ich möchte an dieser Stelle Plessners Überlegungen weiter führen, als er es getan hat. Mit ihm gehe ich davon aus, daß das Bewußtsein, einen Leib zu haben, gleichbedeutend ist mit einem Bewußtsein, dem die Welt in Form von Dingen gegeben ist: „Zentralistische Organisation eines lebendigen Körpers und Auftreten von Dingen in seinem Merkfeld sind notwendig koexistent.“ (S.254) – Und: „Bewußtsein ist der durch die Exzentrizität der personalen Existenz bedingte Aspekt, in dem die Welt sich darbietet.“ (S.303) – ... und die Welt bietet sich eben in erster Linie als Dingwelt dar!

Nun gibt es insbesondere bei Phänomenologen, die ihre Überlegungen immer auf einem subjektiven Bewußtsein evidente Phänomene zurückführen wollen, ein Problem mit der Intersubjektivität, von Plessner als „Mitwelt“ (vgl.S.301-308) bezeichnet. Auf welche ausschließlich dem subjektiven Bewußtsein mit unwiderleglicher Evidenz gegebene Phänomene läßt sich die Gewißheit, daß der andere Mensch mit einem Bewußtsein ausgestattet ist, zurückführen? Die Phänomenologen beantworten diese Frage mit komplizierten Konstruktionen aus Analogieschlüssen vom eigenen beseelten Leib auf die Beseelung des anderen, ihm ähnlichen Leibes. Die umwegige Konstruktion dieser Gewißheit ist zugleich die Widerlegung ihrer Evidenz. Um zu ihr zu gelangen, bedarf es eines eigenen Lernprozesses, denn nach dieser Auffassung sehen wir den anderen Menschen zunächst eben nicht als beseelt an, sondern als dingförmig.

Plessner hält dem entgegen, daß das der Erfahrung widerspricht. Müßte man die Beseeltheit des Mitmenschen erst aufwendig lernen, dann ist nicht einzusehen, warum z.B. kleine Kinder ihre Umgebung von Anfang an und auf natürlich-ursprünliche Weise, ohne es lernen zu müssen, beseelen: „Nichts widerlegt schon innerhalb der einfachen Lebenserfahrung die berühmten Theorien des Analogieschlusses und der Einfühlung, nach denen angeblich der Mensch auf die Idee einer Mitwelt verfällt und schließlich zur Gewißheit der Wirklichkeit anderer Iche gebracht wird, stärker als die in Individual- und Kollektiventwicklung der Menschen überall beobachtbare Tatsache einer ursprünglichen Tendenz zur Anthropomorphisierung und Personifizierung. ... Erst der Ernüchterungsprozeß durch die Verstandeskultur bringt den Menschen zum Bewußtsein toter Dinge.“ (S.300f.) – Und weiter: „Daß der einzelne Mensch sozusagen auf die Idee verfällt, ja daß er von allem Anfang an davon durchdrungen ist, nicht allein zu sein und nicht nur Dinge, sondern fühlende Wesen wie er als Genossen zu haben, beruht nicht auf einem besonderen Akt, die eigene Lebensform nach außen zu projizieren, sondern gehört zu den Vorbedingungen der Sphäre menschlicher Existenz.“ (S.301)

Worin genau bestehen nun diese „Vorbedingungen“? In der Koexistenz von Leib und Ding, die auf die Koexistenz von Leib und Körper zurückgeht. Das erste ‚Ding‘, das ein Neugeborenes, ja, schon ein Embryo ‚kennen‘ lernt, ist der eigene Körper. An ihm lernt es allererst die wesentlichen Prinzipien der Erscheinungswelt, der dinglichen Welt um ihn herum. Und diese Erfahrungen am eigenen Leib überträgt der werdende Mensch unmittelbar auf die Dinge seiner Umwelt. Und deshalb muß er erst mühsam lernen, nicht etwa, daß auch andere Menschen beseelt sind, sondern daß Dinge nicht beseelt sind. Im Grunde lernen wir diese Lehre nie wirklich zu Ende: selbst Erwachsene glauben noch daran, daß viele ‚Dinge‘ beseelt sind, die es in Wirklichkeit nicht sind, z.B. Allgemeinbegriffe wie etwa ‚Volk‘ oder ‚Marktwirtschaft‘.

Wie sehr der Leib als Urbild unserer Dingwahrnehmung fungiert, zeigt z.B. die typisch menschliche Neugier oder Wißbegierde. Schon Humboldt weist in seinen Schulplänen darauf hin, daß es dem menschlichen „Gemüth“ entspricht, alles vollständig wissen zu wollen und sich nicht nur mit Teilwissen zufrieden zu geben. Schon unseren Leib wollen wir ja als Ganzen haben und nicht nur teilweise. Dieses Bedürfnis ist so tief in unserem Bewußtsein verwurzelt, daß wir beim Verlust von Körpergliedern, etwa aufgrund einer Amputation, die fehlenden Glieder halluzinieren. Der Beinamputierte, der sein nicht vorhandenes, juckendes Bein kratzen will, weiß, wovon hier die Rede ist. Unser Bewußtsein will unbedingt an dem Modell eines ganzen Körpers, wie es im Gehirn als Leib repräsentiert ist, auch gegen die Realität des unvollständigen Körpers festhalten. Diesem Bedürfnis, selbst vollständig sein zu wollen, entspricht das Bedürfnis, die Dinge vollständig ‚haben‘ zu wollen, so sehr, daß man sogar davon spricht, sich Wissen ‚einzuverleiben‘.

Auch hierbei, bei der ‚Erweiterung‘ des Leibbewußtseins durch ein sich Wissen einverleibendes Bewußtsein, bildet also unser Verhältnis zum eigenen Leib das Modell. Wir neigen nicht nur dazu, fehlende Körperteile zu ersetzen, sondern auch künstliche Körperteile, Artefakte, als ‚natürlichen‘ Bestandteil des eigenen Körpers wahrzunehmen. So geht es z.B. Handwerkern mit ihren Werkzeugen. Es gibt einfache Experimente, die zeigen, wie wir künstliche Hände und Arme mit Empfindungen beseelen, als wären sie unsere leiblichen Hände und Arme.

Und damit sind wir inzwischen bei der Funktion, die die Dingwahrnehmung für die ontogenetische Bewußtseinsentwicklung hat, angekommen. Die Dinge selbst werden nun zu Urbildern des menschlichen Selbstbewußtseins, dem Ich. So wie sie uns das Urbild eines in einer unsichtbaren, nie sichtbar zu machenden ‚Mitte‘ beharrenden, mit veränderlichen Eigenschaften ausgestatteten Etwas geben, erfährt sich das bewußte Ich an ihrem Beispiel trotz aller Wandlungen und Veränderungen als etwas Identisches und Beharrendes. Hinzu kommt die schon hinsichtlich der Phylogenese des menschlichen Bewußtseins angesprochene, für die echte Dingwahrnehmung unverzichtbare Negativität, die auch dem vollausgebildeten begrifflichen Denken zugrundeliegt. Auch hierzu bildet also die Dingwahrnehmung das Modell und trägt so wesentlich zur individuellen Bewußtseinsentwicklung bei.

So kann man also von einem Wechselverhältnis von Selbsthabe und Etwashabe sprechen, deren gemeinsamer, wechselseitiger Vollzug das Selbstbewußtsein ausmacht. Nicht im Sein haben wir uns, sondern im über die Dinge vermittelten Werden unseres Selbst.

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12 Kommentare:

  1. Beim Anschauen einer Geo-DVD zu „Superbegabten“ – Menschen mit extremen einseitigen Begabungen und damit zusammenhängenden Gehirnschädigungen – ist mir bei einer Frau, die besondere Fähigkeiten beim Verstehen von Tieren aufweist, aber nicht in der Lage ist, die Mimik von menschlichen Gesichtern zu deuten, aufgefallen, daß die Wahrnehmung der Wirklichkeit bei Autisten dem gleicht, was Plessner als „komplexqualitative Wahrnehmung“ beschreibt. Die betreffende Frau beschreibt, daß sie genauso wie Tiere viele kleine Details ihrer Umgebung wahrnimmt, die andere Menschen einfach übersehen, z.B. irgendwo herumliegendes Bonbonpapier. Vor solchen Dingen würden Kühe leicht erschrecken (und, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, Pferde; ich kannte mal eins, das sich vor praktisch allem erschreckte; sogar vor seinem eigenen Schatten). Im Grunde ist es genau das, was die Wahrnehmung von Tieren von der von Menschen unterscheidet. Menschen nehmen nicht jedes Detail wahr, also komplexqualitativ, sondern versammeln ihre Wahrnehmung in Vordergründen und Hintergründen. Die Hintergründe nehmen sie dann nicht mehr bewußt wahr.

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  2. Anmerkung: Mir fällt die Sprache ein, die alles zurückwirft. In gewisser Hinsicht wird das Eine mit Hilfe (oder durch) der Sprache vervielfältigt (reziprok).

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  3. Was uns die Sprache widerspiegelt, sind in erster Linie wir selbst. Wir hören uns sprechen. Gleichzeitig werden uns aber die gesprochenen Worte fremd, weil diejenigen, zu denen wir sprechen, sie uns auf veränderte Weise zurückwerfen. Darin finden wir uns und unsere Worte nicht so wieder, wie wir sie gemeint hatten. Wir schrecken vor ihnen zurück. Dieses Zurückschrecken bezeichnet Plessner als "noli me tangere".
    Wenn das Gespräch weitergeführt wird, im Vertrauen darauf, daß unsere Gesprächspartner verstehen wollen, entstehen neue Ebenen des Denkens und Handelns. Dieses wechselseitige Vertrauen in die Verständnisbereitschaft der Gesprächspartner bezeichnet Tomasello als Rekursivität.
    Expressivität (Plessner) und Rekursivität (Tomasello) sind meiner Ansicht nach die wichtigsten Grundvoraussetzungen für die menschliche Sprache.

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  4. Diese kommunikative Ebene meinte ich nicht, sondern das die Sprache in uns eine geistige Ordnungstruktur ermöglicht in der alle Bilder, Erinnerungen und sogar das "Unbewußte" zusammenfließt.
    Gerade der Begriff "Bewußtsein" zeigt uns da eine ganze Menge. Vielleicht kennst du den Begriff "Wortfetischismus". Wir haben das Wort Bewußtsein und denken, dass irgendetwas in der Realität dem entsprechen muss, also real ist.
    Was du oben sagst, ist der Grund für unsere Mißverständnisse, die gerade in unserer Schriftkommunikation schnell auftaucht.

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  5. Du hast vollkommen recht. Der eingeschränkte Kontext der elektronischen Kommunikation führt zu solchen Mißverständnissen, die in der mündlichen Kommunikation viel weniger vorkommmen.
    Ich unterscheide zwischen Unbewußtem und Unterbewußtem. Das Unbewußte ist prinzipiell unbewußt. Es kommt niemals zu Bewußtsein. Dazu gehören alle Lebensvollzüge physiologischer, pragmatischer und kognitiver Art. Das Unterbewußte ist potentiell bewußt. Hierzu gehören einst bewußte Prozesse des Handelns und Denkens, die ins Unterbewußte abgesunken oder verdrängt worden sind. Zu diesem Unterbewußten gehört das Gedächtnis. Es gibt auch ein kollektives Unbewußtes und ein kollektives Unterbewußtes. Das kollektive Unbewußte besteht im Schwarm- bzw. Massenverhalten. Das kollektive Unterbewußte besteht in Archetypen und in den Archiven, in denen wir Schriftzeugnisse aufbewahren, die uns 'verloren' gegangen sind, aber 'wiederentdeckt' werden können.
    Deshalb unterscheide ich zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation. Das Un- bzw. Unter-Bewußte der mündlichen Kommunikation besteht in unserer Lebenswelt. Das Un- bzw. Unter-Bewußte der schriftlichen Kommunikation besteht in wie auch immer verloren gegangenen Schriftdokumenten. Die mündliche Kommunikation wird durch die Exzentrizität des Menschen möglich, bleibt aber lebensweltlich gebunden. Die schriftliche Kommunikation ermöglicht eine neue Ebene der Exzentrizität. Sie ermöglicht Gesellschaft, wo mündliche Kommunikation nur Gemeinschaft ermöglicht.
    Übrigens: das ist genau das, was ich mir von Kommentaren erhoffe. Sie bringen einen im Denken weiter. - Danke!

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  6. Ich habe mir alles noch einmal durchgelesen und müßte direkt in den Texten "eingreifen". Es liegt wohl vieles daran, dass du so verständlich schreibst. Am Besten ginge es in der Form, dass ich die Texte kopiere und bearbeite und dann als private E-Mail an dich sende. Um dann später das Bereinigte als Kommentar aufzusetzen. Machen wir es erstmal so?

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  7. So können wir vorgehen. Aber ich könnte auch eine Seite für Deinen Kommentar einrichten, so wie ich das schon bei Georg Northoff gemacht habe. Ich richte mich ganz nach Dir.
    Übrigens danke: es ist das erstemal, daß mir jemand bescheinigt, verständlich zu schreiben. ;)

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  8. Ich danke dir. Wir versuchen es erstmal mit der E-Mail. Du mußt wissen, ich bin unakademisch, also ohne Studium. Falls meine Bearbeitung dir zusagt könne wir die Seite immer noch einrichten. Welch Ehre

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  9. An anderer Stelle darauf hingewiesen, das die Kenntnis der Gestalthaftigkeit mich nicht weiterführt (und dann?). Die zentralnervöse Organisation hatte immer zwei Sphären im Auge, den Leib und die Umwelt. Es ging immer um eine Korrelation zwischen beide, aber nur vom Leib ausgehend (körperlichen Interessen). Wenn die Welt unabhängig gestalthaft ist, dann erwarb sich die zentralnervöse Organisation immer ein Stück mehr von dieser Gestalthaftigkeit (esgibt ja nichts anderes). Der Begriff Komplexqualitativ sah mehrere Gestalten auf einmal, also ein Komplex von Gestalten. Die einzige Frage ist, ob unser Bewußtsein eine kontinuierliche Folge aus dem Komplexqualitativen ist, oder ob es da einen Bruch gibt.

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  10. Auf der Ebene der frühen Ontogenese, also der embryonalen und frühkindlichen Entwicklung gibt es eine parallele Entwicklung mit unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen. Tomasellos vergleichende Untersuchungen deuten darauf hin, daß das menschliche Kind im Alter von 9 Monaten (nach der Geburt) beginnt, sich für die Blicke seiner Bezugspersonen zu interessieren. Von da an geht die Entwicklung von Menschen und Schimpansen auseinander. Vielleicht geht ja dieses Interesse für die Blicke der anderen Menschen mit der Fähigkeit einher, individuelle Gegenstände aus dem komplexen Hintergrund herauszulösen und im Bewußtsein zu halten?

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  11. Ei, wir liegen ja sehr zusammen. Für mich ist das Soziale der springende Punkt für die Evolution des Menschen.

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